Sonntag, 25. Dezember 2011

Ein Weihnachtswunder kommt selten allein


Zunächst mal: Nach 2 Monaten dachte ich, es wäre mal wieder an der Zeit für ein paar aktuellere Fotos -> unter diesem Blogeintrag sind diese zu finden.

Heute ist Sonntag, der 25. Dezember 2011. Gestern wurde in Indien ‚Semi – Christmas‘ gefeiert -> auch in Indien findet Weihnachten eigentlich erst am 25. statt; der 24. ist nur ‚Semi‘. Ich habe trotzdem gestern am Abend das Weihnachtspaket, das ich gestern von meiner Familie erhalten habe, aufgemacht. Zu meinem Wohlgefallen bin ich jetzt reichlich eingedeckt mit Keksen, einem Christstollen und vielem mehr. Vielen, vielen Dank! Und obwohl dieses Paket das Maximum aus meiner Weihnachtsstimmung herausgeholt hat, bin ich von Weihnachtsstimmung in diesem Jahr nun wahrlich nicht überwältigt worden. Das hatte ich jedoch auch nicht erwartet. Die letzte Woche war einfach anstrengend – unter anderem weil es mal wieder kein Wasser zum Waschen gegeben hat und die Stromleitung gesponnen hat. Am Mittwoch in der Früh, als ich noch geschlafen habe, ist zum Beispiel plötzlich eine Steckdose mitsamt Handyladegerät in meinem Zimmer explodiert. Das war zum Aufwachen mal effektiver als jeder Wecker dieser Welt. Das aber deutlich anstrengendere diese Woche war, mit einer Horde kurz vor Weihnachten durchdrehender Burschen ein kleines Weihnachtsschauspielstück –nämlich die Weihnachtsgeschichte von der Geburt Jesus- einzuüben. Gestern hatten wir in Vimukti nämlich unsere Weihnachtsfeier, bei der das Schauspielstück vorgespielt wurde. Außerdem haben wir auch ein paar Weihnachtslieder zusammen einstudiert und das Gebäude weihnachtlich geschmückt. Bei der Weihnachtsfeier hat eigentlich alles, im Vergleich zu den Proben, super hingehauen; die Proben waren jedoch, wie bereits erwähnt, echt ein ziemlich mühseliger Kraftakt – kaum einer von den Burschen war  wirklich bei der Sache; für die meisten schien das Ganze nur ein Scherz zu sein. Positiver Höhepunkt bei der Weihnachtsfeier war die Geschenkevergabe – „Thank you Brother, thank you Brother! My so happy!“. Und von einem Moment auf den anderen waren sie alle Engelsgleich und über das ganze Gesicht freudestrahlend. Die Uniformen haben die Burschen gleich daraufhin zum Cricket spielen angezogen – neue Cricketschläger und Bälle haben sie von uns auch bekommen, da die alte Ausstattung schon ziemlich hinüber war und sie sowieso dringend neue gebraucht hätten. An der Stelle noch einmal ein Riesengroßes Dankeschön an alle, die für mein Projekt gespendet  haben. Fotos von der Weihnachtsfeier und den freudestrahlenden Burschen werde ich in der nächsten Zeit noch hochstellen. Übrigens: Wie ich schon bei meinem letzten Blogeintrag geschrieben habe, kann nach wie vor für mein Projekt gespendet werden (jetzt speziell für einen neuen Wasserfilter in Vimukti und einen neuen Essenstruck, der das Essen täglich zu den Teilprojekten bringt; ist alles nachzulesen in meinem letzten Blogeintrag - auch die Kontonummern stehen bei diesem). Nach der Weihnachtsfeier war ich jedenfalls ziemlich k.o.; den Umständen entsprechend geschlaucht trudelten Konrad und ich gestern Nachmittag zurück in Vijayawada ein, wo uns bereits die nächste Weihnachtsfeier erwartete, die wir noch kurzfristig musikalisch vorbereiten mussten.

Übrigens scheint es mir von nicht unbeachtlicher Wichtigkeit von 2 Weihnachtswundern zu berichten! Das eine ist wohl größer als das andere, aber auf jeden Fall sind beide erfreuliche Nachrichten gewesen. Weihnachtswunder Nr. 1: Shareef, ein Bursche aus meinem Projekt Vimukti, hätte Dienstag eigentlich das Camp verlassen sollen, da das Navajeevan - Ausbildungszentrum mit der Ausbildung von neuen Lehrlingen beginnt, und diese Ausbildung auch für Shareef vorgesehen war bzw. ist. Shareef war jedoch sehr unglücklich darüber, kurz vor Weihnachten als Einziger seine Freunde verlassen zu müssen. Nachdem ich mit Suddharka, dem In Charge von Vimukti, geredet hatte, konnte es nach vielem Hin und Her Gerede jedoch tatsächlich bewerkstelligt werden, dass er erst nach Weihnachten mit der Ausbildung beginnt, und das dann auch gleich zusammen mit ein paar von den anderen Buben in Vimukti. Von der frohen Kunde in Hochstimmung versetzt, tanzte Shareef daraufhin eine Stunde lang jauchzend über das Gelände. –> Übrigens, Detail am Rande: Das Camp endet nun doch nicht am 25. Dezember, also heute (würde mich übrigens echt mal interessieren wie oft ich schon die Wörter ‚nun doch nicht‘ in meinen Blogeinträgen gebraucht habe), sondern geht jetzt künftig durchgehend weiter; es werden einfach immer wieder neue Campteilnehmer dazustoßen bzw. ältere das Camp verlassen.
So, nun zu Weihnachtswunder Nr.2: Wie ich euch unlängst bereits erzählt habe, wurde ein neues Gebäude in dem Kinderdorf Chiguru eingeweiht. Dieses Gebäude hat sehr viel Geld gekostet, und selbst nachdem die Leiter von Navajeevan, Father Koshy und Anu Aunty, durch Europa gereist waren um Spendengelder zu sammeln, fehlten noch 80.000 Euro. Nun aber die unglaubliche Nachricht: Am Mittwoch letzter Woche, erreichte Navajeevan die Kunde, das ein anonymer Spender aus Wien (!) alle 80.000 Euro bezahlen würde. Er möchte jedoch nirgends namentlich erwähnt werden. Wir waren alle total sprachlos als wir das gehört haben und Father Koshy meinte, ihm wäre ein Riesen Stein vom Herzen gefallen.

Nun möchte ich euch noch von einem Burschen in Vimukti erzählen, der mir diese Woche an einem Abend, nachdem ich mich, während er Wasser für das Abendessen über einer Feuerstelle im Freien zum Kochen brachte, zu ihm gesetzt habe, seine Geschichte erzählt hat. Diese Geschichte hat mir einfach den Mund offen stehen lassen und ließ mich einmal wieder hinterfragen, wie ich es mir anmaßen kann, böse auf diese disziplin- und respektlosen jungen Menschen zu sein, wenn sie einmal wieder Mist gebaut haben. In Anbetracht einer solchen Geschichte, wer könnte so anmaßend sein und von solch einem Menschen ein respektvolles- und diszipliniertes Verhalten erwarten? Nun möchte ich nicht länger um den heißen Brei herumreden: Siva Kumar, 18 Jahre alt, ist einer meiner derzeit schwierigsten Burschen. Er ist respektlos, macht sich über alles lustig und hört auf nichts was man ihm sagt. Siva wurde als kleines Kind von seinen Eltern verstoßen, und entschloss sich damals, als Schwarzfahrer mit dem Zug seine Heimat zu verlassen. Doch weil er nicht wusste, wohin er gehen sollte, reiste er über Jahre hinweg mit dem Zug einfach durch das ganze Land – nicht einmal bezahlte er für ein Ticket. Er war bereits in Kalkutta, Neu Delhi, Mumbai, im Nordöstlichsten Teil Indiens und sogar auch schon in Nepal. Als Siva einmal versuchte auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, gab es einen Unfall, bei dem er die Hälfte seines rechten Fußes verlor. Vor ein paar Jahren hat Siva geheiratet und sogar schon ein Kind gezeugt. Als kurz nach der Hochzeit seine Frau verstarb, verfiel Siva in tiefe Depressionen. Er begann harte Drogen zu nehmen, Alkohol zu trinken und verbrannte sich in dem einen oder anderem Rausch mit Streichhölzern. Er zeigte mir die Wunden. Sein Baby gab er in einem Waisenhaus ab und kam nach Vijayawada, wo er am Bahnhof von dem ‚Street Presence Team‘ von Navajeevan angesprochen wurde. Orientierungs- und Perspektivlos entschloss er sich, mit ihnen mitzukommen – was Besseres wusste er mit seiner Zeit ohnehin nicht anzufangen. Heute ist er mit mir in Vimukti, und versucht seinen Kopf frei zu bekommen. Was natürlich keine leichte Angelegenheit ist. Auf Entziehung von den Drogen, die er so lange genommen hat, ist es sehr schwer nachts Schlaf zu finden. Einer von den Buben hat mir erzählt, dass er ihn schon oft mitten in der Nacht durch das Gelände spazieren gesehen hat. Wir versuchen so gut es geht für ihn da zu sein, aber was dieser Junge mit seinen 18 Jahren bereits erlebt hat, hat wahrscheinlich selbst so mancher 80 Jähriger noch nicht erlebt. Umso schöner war es, ihn, gestern bei der Weihnachtsfeier, mit einem freudigen Strahlen im Gesicht den neuen Cricketschläger in die Hand nehmen zu sehen.

So, abschließend dachte ich mir übrigens noch, euch könnte mal interessieren, wie genau mein Tagesablauf in Vimukti ausschaut. Ich habe diesen zwar schon mal ungefähr beschrieben, aber ich dachte eine konkrete Zeitauflistung könnte doch ein wenig übersichtlicher sein:
•             6 – 7 Uhr: Wake up & Duties (Alles fegen und sauber machen)
•             7.15 – 7.45 Uhr: Morning - exercise (Joggen gehen mit Konrad und mir)
•             8 – 8.30 Uhr: Fresh up
•             8.30 – 9 Uhr: Morning Prayer
•             9 – 9.30 Uhr: Breakfast
•             9.45 – 10 Uhr: Assembly (Die Burschen versammeln sich mit den beiden Camp Mitarbeitern Kishore und Raja auf dem Platz vor dem Eingangstor, und halten eine kurze Tagesbesprechung)
•             10 - 11 Uhr: Basic Education Class (das ist der Englisch Unterricht den Konrad und ich geben)
•             11 – 13 Uhr: Duties and Moral Class (In dieser Zeit werden meistens verschiedene körperliche Arbeiten erledigt, wie das Sammeln von Holz oder das Abernten von Kokosnüssen. Manchmal gibt der In Charge dieses Camps in dieser Zeit auch seine sogenannte ‚Moral Class‘, um den Campteilnehmern vor Augen zu führen, in was für einer Situation sie sich befinden und was sie für eine Verbesserung in ihrem Leben beitragen können.)
•             13 – 13.30 Uhr: Lunch
•             14 – ca. 15.30 Uhr: Football Class (Das ist der Fußballkurs den Konrad und ich unlängst eingeführt haben)
•             15.30 – 18 Uhr: Free time (Im Normalfall heißt das Cricket)
•             18 Uhr: Snacks
•             18 – 20 Uhr: Fresh up, Duties and Games (Duschen, nochmal alles kehren, und dann werden meist auch noch Brettspiele gespielt)
•             20 – 20.30 Uhr: Supper
•             20.30 – 22.30 Uhr: TV & Good night

So, das wars für heute mal wieder. Ich wünsche euch allen frohe und gesegnete Festtage. Genießt den Sonntag! (Ich zumindest werde das auf jeden Fall tun, bevor ich mich morgen wieder in die Schlacht stürze ;P)


Weihnachtliche Grüße aus Indien

Ein paar visualisierte Eindrücke von November und Dezember

Englisch - Unterricht in Vimukti





Beim Palmenklettern




Die verrückteste Busfahrt meines Lebens.... man beachte -> keine Windschutzscheibe

Bei der Football class

Shareef beim Schußtraining


Mit den Burschen in Vimukti


Englisch - Unterricht im Shelter


Das beliebte Carromball Spiel

Müllverbrennung direkt neben dem Shelter


Kuh, Müll und Müll der gerade angezündet wurde (siehe Rauchschwade)

Bei der Zugfahrt nach Vishakaphatnam



Der indische Ozean - mit Volontären aus Deutschland und Österreich

Von diesem Felsen wurde ich damals von einer Welle runtergespült

Beim Fischen

Kühe mit kleiner Rast mitten auf der Hauptstraße

Links Hauptstraße - rechts gehts ein paar Meter runter zu den Slums


Für manche Inder keine Straßen - Sperrlinie sondern ein Schlafplatz

Eine indische Schreinerei 


Bei der Einweihung des neuen Gebäudes im Kinderdorf Chiguru 


Father Koshy weiht es auf traditionelle Weise ein

Ergebnis einer erfolgreichen Rattenjagd


Hühnerhinrichtung

Hühnerzubereitung




Von uns Volontären selbst gemachte Puris


Konrad und ich beim Sandschleppen


Unsere Class Rules - gestaltet von den Burschen, unter Vorgabe von Konrad und mir


Die Burschen helfen bei der Frühstücks Vorbereitung mit

Frühstück!

In einer vollgesteckten Rikscha




Lakshmi -Hündin von der Köchin- hat Nachwuchs bekommen... jetzt rennen überall kleine Babyhunde herum


Hab das kleine Hündchen an einem Morgen völlig verdreckt neben der Küche vorgefunden - hab ihn gewaschen
 und nach dem er daraufhin am ganzen Leib gezittert hat hab ich ihn auch noch in mein Zimmer zum abtrocknen gebracht.
Dort hat er dann den restlichen Tag geschlafen.