Samstag, 28. Januar 2012

Jänner in Vimukti - eine chaotische Zeit


Und wieder haben wir Sonntag, und damit Stichtag um einmal mehr von einer weiteren, eindrucksreichen, aufregenden Woche zu berichten. Doch, noch kurz bevor ich zur letzten Woche mit meinen Chaoten in Vimukti komme: Ich hoffe jeder, der bei dem Benefizkonzert für mein Projekt am Freitag war, hat den Abend genossen und eine schöne Zeit gehabt – vielen Dank an jeden Einzelnen der das Benefizkonzert besucht hat. Ganz besonders großen Dank auch nochmal an die karitative Jugendgruppe SLOSH (Spread Love Or Stay Home), rund um Theresa Driza, die diesen Abend möglich gemacht haben und so supter toll genial einzigartig -wie ich gehört habe- gestaltet haben. Jeder Euro, der an diesem Abend gesammelt wurde, hilft, die Situation all der jungen Menschen, mit denen ich täglich zusammen arbeite und auch in den anderen Teilprojekten von Navajeevan, zu verbessern und gibt Hoffnung! Vielen, vielen Dank!

Nun zu meiner Woche: Als ich Sonntagabend in Vimukti ankam, wurde ich unmittelbar nach meiner Ankunft mit Informationen bezüglich der kommenden Woche geradezu überhäuft, da sich in dieser besondere Ereignisse geradezu überschlagen sollten (die folgenden Informationen wurden mir so, wie ihr sie gleich lesen werdet, letzten Sonntag von den Mitarbeitern 1:1 mitgeteilt; bei der folgenden Auflistung handelt es sich also noch nicht um die tatsächlichen Geschehnisse):
Am Dienstag sollte angeblich der Spender, der das Vimukti Gebäude bezahlt hat, nachdem er extra aus England, Cornwall, angereist sei, zu uns nach Vimukti kommen; außerdem sollten die Burschen aus dem Shelter einen Ausflug zu uns machen.
Am Mittwoch sollte ein Picnic stattfinden -an diesem Tag sollte es sich bei dem Wort Picnic tatsächlich um einen Ausflug handeln, zu welchem gutes Essen mitgenommen wird; normaler Weise bedeutet Picnic einfach gutes Essen und anschließendes Tanzen, mit Austragungsort auf dem Dach des Vimukti Gebäudes-.
Am Donnerstag war in Indien ‚Republic Day‘ (Ausruf der Republik fand in Indien am 26. Jänner 1948 statt) – für diesen Tag sollte mit den Burschen ein Tanz eingeübt werden, da uns die Fathers aus Vijayawada angeblich besuchen kämen. Außerdem sei besonderes Essen geplant.
Montag und Freitag sollten also die einzigen Tage mit gewöhnlichem Ablauf diese Woche sein. Doch von einem „gewöhnlichen“ Ablauf kann, zumindest bei Montag, nun wirklich nicht die Rede sein.
Ganz nebenbei bekam ich Sonntagabend auch zu hören, dass mittlerweile wieder 2 neue Burschen zu uns ins Camp gestoßen sind -nämlich Ramesh und Venkat-, und dass ein Bursche -nämlich Ginnar Sai- am Wochenende abgehaut sei, sich der Straße nicht länger entziehen konnte. Eine, für die aktuelle Situation in Vimukti, sehr beschreibende Information. Überwiegend kommen natürlich mehr Burschen als das welche abhauen - dennoch ist es, wie ich euch schon in den letzten Wochen erzählt habe, derzeit einfach ein ständiges Auf und Ab mit der Anzahl der Burschen in Vimukti.

Nun aber weiter zu meiner Woche in Vimukti, und was sich in dieser tatsächlich zugetragen hat -> kommen wir zunächst dazu, warum ich den, bei meiner Ankunft für Montag angekündigten, „gewöhnlichen“ Ablauf, unter Anführungszeichen gestellt habe (für Freitag wurde zwar ebenfalls ein gewöhnlicher Ablauf angekündigt, jedoch bewahrheitete sich in diesem Fall überraschender Weise die Ankündigung - daher muss hier auch nichts unter Anführungszeichen gestellt werden).
Montag fing damit an, dass die Burschen, unter der Anweisung von den beiden Mitarbeitern Kishore und Raja, bereits früh am Morgen begannen wie verrückt das ganze Gebäude zu säubern, da ja am nächsten Tag der Spender aus England, der das Gebäude in Vimukti bezahlt hat, zu Besuch kommen sollte. Ich fuhr mit Sudharka, dem Camp Leiter, am Vormittag mit dem Motorrad nach Nuzvid (Nuzvid ist die nächstgelegene, größere Ortschaft) – dort angekommen, gaben wir in einem Grafikladen ein riesiges Plakat in Auftrag, das am nächsten Tag im Eingangsbereich des Vimukti Gebäudes aufgehängt werden sollte um daran zu erinnern, dass das Gebäude von eben diesem bereits erwähnten Spender, Canon Peter Goodridge sein Name, bezahlt wurde: ‚Canon Peter Goodridge Memorial Enabling Center‘ war der Aufdruck –> warum das Wort ‚Memorial‘ dabei stand, das mich zwar ein wenig irritierte aber nicht weiter beschäftigte, sollte ich am nächsten Tag erfahren. Danach lud mich übrigens Sudharka das erste Mal zu sich nach Hause ein, wo mir Früchte und jede Menge zu knabbern angeboten wurde. Als Sudharka und ich uns jedenfalls wieder auf dem Weg zurück nach Vimukti befanden, erhielt Sudharka plötzlich einen Anruf, dass 3 Burschen -nämlich Rahul, Ramesh und Akil-, abgehaut seien. Als Folge dieses Anrufs fuhren wir nun doch nicht zurück nach Vimukti, sondern begannen die Gegend um Vimukti nach den Burschen abzusuchen. Nach etwa einer Stunde lasen wir sie schließlich am Straßenrand auf - Sudharka forderte sie auf, vor uns hergehend zurück nach Vimukti zu marschieren. Dies ging nicht lange gut, denn, nach ein paar Minuten, und etwa hundert Metern vor uns hergehend, huschten sie plötzlich in ein privates Bananenstaudenfeld hinein. Ich lief ihnen hinterher. Ein wenig unbehaglich war mir bei dieser Aktion schon zumute, da ich barfuß durch ein von Pflanzen überwuchertes Feld lief, und sich in meinem Kopf unweigerlich das mögliche Szenario eines Bananenspinnen Angriffs abspielte – speziell da die Bananenstauden sehr dicht zu einander standen, und mir bei der Verfolgungsjagd ständig Blätter ins Gesicht peitschten. Schließlich konnte ich sie jedoch einholen,  nur einen -nämlich Ramesh- allerdings festhalten. Ramesh ließ sich daraufhin, völlig außer Atem, zu Boden sinken. Ich, nicht minder außer Atem und ein wenig überfordert mit der Situation, entschloss mich dann einfach kurzer Hand zu ihm zu setzen, und meinen Arm um ihn zu legen. Zu reden hätte nicht viel gebracht, da er kein Wort Englisch sprechen kann. Schließlich vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und begann zu schluchzen. Bei Ramesh und Akil war ich eigentlich weniger verwundert, dass sie versucht hatten abzuhauen – bei Neulingen ist die Versuchung, wieder zurück zu ihren gewohnten Umständen auf der Straße zu kehren, immer am größten. Bei Rahul war ich jedoch sehr überrascht, er war nämlich mittlerweile schon 2 Monate in Vimukti, und bisher fast immer einer von der eher braveren und umgänglicheren Sorte gewesen. Ihn und Akil suchten wir jedenfalls nach der Aktion eine weitere Stunde lang. Später sah ich den Besitzer des Bananenstaudenfeldes, sein Grundstück mit einer Schrotflinte durchforsten – er war wohl auch ziemlich erpicht darauf, die Eindringlinge zu fassen. Ich war nur froh, nicht mehr in dem Feld zu sein. Akil wurde schließlich von Sudharka aufgegabelt. Rahul kam am Abend von selbst wieder zurück nach Vimukti. Er meinte, Akil und Ramesh hätten ihn dazu angestiftet. Was für mich nicht wirklich eine Entschuldigung war; auch Sudharka wirkte sichtlich enttäuscht von ihm, und sprach mit ihm noch eine längere Zeit. An der Stelle sei einmal wieder erwähnt, dass alle Burschen freiwillig zustimmen, bei dem Rehabilitationsprogramm Vimukti mitzumachen. Man muss aber verstehen, dass es sich bei diesen jungen Menschen um Abhängige, also Straßen- bzw. Drogenabhängige, handelt. Speziell Neuzugänge verspüren in der Anfangsphase ganz besonders diesen Drang, ihrem gewohnten Alltag -auf der Straße bzw. im Umgang mit Drogen- wieder nachzugehen; darum hauen diese auch gerne mal ab.  Sie wissen jedoch, eine Zeit lang bei diesem Rehabilitationsprogramm mitzumachen, würde ihnen wirklich gut tun. Wir könnten sie natürlich einfach gehen lassen, wenn sie mal wieder versuchen abzuhauen, aber die, die es schaffen nach ihrer Zeit in Vimukti weiter in ein Schul- oder Ausbildungszentrum zu gehen, sind im Nachhinein sehr dankbar, dass man sie für diese Zeit einfach mal ihrem gewohnten Umfeld entzogen hat, damit sie sich neu orientieren und sammeln konnten. Nun wieder weiter zu Montag. An Ereignissen hatte der Montag mit dieser Aktion noch nicht ganz ausgedient – ebenfalls am Vormittag dieses Tages stieß nämlich wieder ein neuer Junge in Vimukti dazu, Ashok sein Name. Weiters wurde Prasand, welcher vorletzte Woche nach Vimukti gekommen war, nach Nuzvid in eine Betreuungsstätte gebracht, da man sich einig war, dass er dort besser aufgehoben sei. So, jetzt hat der Montag an Ereignissen allerdings doch endgültig ausgedient. Weiter zu Dienstag.

Ich mit einem der Shelter Boys
Für Dienstag möchte ich nicht groß um den heißen Brei herum reden; es wurde mir schließlich klar, warum das Wort ‚Memorial‘ auf dem Plakat mitgedruckt war -> kurz vor der vermeintlichen Ankunft des Canon Peter Goodridge erfuhr ich nämlich, dass dieser schon seit ein paar Jahren tot sei. An seiner Stelle würden allerdings seine ehemaligen Mitarbeiter -ebenfalls aus England, Cornwall-, vorbeikommen. Es wäre jetzt kein Drama gewesen, hätte man mich im Glauben gelassen, dass da jetzt wirklich gleich dieser Peter Goodridge vorbeischaut; aber diese kleine Geschichte schien mir einfach mal wieder ein recht passendes Beispiel, um den Hang der Inder, ungenau oder schlicht und ergreifend falsch zu informieren, zu veranschaulichen. Zumindest beim Ausflug der Shelter Boys kam es zu keinen weiteren Überraschungen, und der Tag wurde ganz nett, auch weil 2 Volontäre, Martin und Marie, zu Besuch kamen (Abwechslung dieser Art in der Abgeschiedenheit von Vimukti ist ein seltenes und willkommenes Gut). 

Mit den Burschen beim Picnic auf einer kleinen, idyllischen Tempelinsel
Mittwoch. Mittwoch war eigentlich der einzige Tag, an dem fast alles so zutraf, wie man es mir Sonntagabend auch angekündigt hatte. Bevor wir jedoch zum Picnic losfuhren, kam es noch zu Aufregung. Zunächst hatte sich Venkat, einer von den Burschen, der das Wochenende neu zu uns dazu gestoßen war, in der Nacht davongeschlichen und konnte auch nicht mehr aufgefunden werden - was ich sehr schade fand, da ich ihn sehr gerne hatte. Er war, ganz unüblich für einen Vimukti - Neuzugang, sehr umgänglich und höflich, wenn auch die meiste Zeit still und zurückgezogen. Vielleicht war auch genau das, das Problem. Er wollte rein gar nichts über sich erzählen, was auch vollkommen okay ist, schließlich war er gerade erst seit ein paar Tagen in Vimukti – manche brauchen einfach Zeit, bis sie ein bisschen auf sich eingehen können. Ich denke mit der Zeit hätte sich Venkat hier schon eingelebt; leider aber wollte er einem Neustart in Vimukti keine Chance geben. Weiters für Aufregung sorgte Sharef, als dieser sich nämlich beim Zwiebeln schneiden ziemlich tief in den Finger schnitt und sehr rasch, viel Blut verlor. Vor ein paar Jahren hatte ich in der Schule einen Erste Hilfe Kurs absolviert, von dem mir zwar nicht mehr allzu viel in Erinnerung geblieben ist, von welchem ich mir jedoch noch ins Gedächtnis rufen konnte, dass gegen stark blutende Wunden, Druck ausgeübt werden sollte. Daher ließ ich ihn erst mal die Wunde auswaschen, um sie dann zu desinfizieren und um anschließend einen Druckverband daran zu fixieren. Für die Sanitäter unter euch: Sollte ich etwas in der Situation falsch gemacht haben, stehe ich für Kritik gerne offen, da ich davon ausgehe, dass dies nicht meine letzte Situation dieser Art in Vimukti gewesen ist. Der Verband musste noch drei Mal gewechselt werden, da die Wunde so stark blutete. Leider kam Sharef erst zu mir, nachdem er schon ziemlich viel Blut verloren hatte – ihm wurde also langsam aber sicher schwindlig. Kurz bevor wir zum Picnic losfuhren kippte er dann um. Wir brachten ihn sofort ins Krankenhaus und am selben Tag noch ging es ihm zum Glück wieder gut. Zwei Stunden nach dem eigentlich ausgemachten Zeitpunkt für die Abfahrt zum Picnic, fuhren wir schließlich, mit 2 gemieteten Rikschas, los -> diese zwei Stunden Verspätung sind allerdings nicht Sharef zuzuschreiben; der wurde, als wir uns mit den Rikschas auf dem Weg zum Picnic befanden, mit dem Mitarbeiter Kishore, einfach beim Krankenhaus rausgelassen. Die zwei Stunden Verspätung sind viel mehr mit dem Hang der Inder, den Stereotypen des ewigen Zu-spät-dran-seins zu pflegen, zu erklären. Zunächst besichtigten wir jedenfalls, -spontan und außerplanmäßig, wie es sich in Indien eben gehört- nach einer etwa halb-stündigen Fahrt mit der Rikscha, einen Hügel auf welchem überall Jesus und Marien Statuen aufgestellt waren. Die Christen unter den Burschen (wir haben auch Muslime und Hindus in unserer Gruppe, die nicht zu dieser Hügelbesichtigung hätten mitkommen müssen – es aber trotzdem getan haben) blieben bei den Statuen dann immer stehen und beteten – wenn sie nicht gerade vor Anstrengung keuchten, da die Erklimmung des vielleicht 100 Meter hohen Hügels auch die Bewältigung von ein paar Stufen bedeutete, was bei -zumindest manchen- körperlich besonders kaputten Burschen beinahe schon eine Dehydrierung nach sich zog. Nach der Besichtigung fuhren wir, etwa eine Stunde lang, weiter zu einem entlegenen, kleinen Tempel, welcher auf der einen Seite von malerischen Reisfeldern, und auf der anderen Seite von einem im Sonnenlicht glitzernden, kleinen See umgeben war – nur ein kleiner, holpriger Pfad führte zwischen den Reisfeldern und dem See direkt zu dieser kleinen Tempelinsel. Dieses kleine Örtchen, umsäumt von unmittelbar hinter den Reisfeldern und dem See sich erstreckenden, gemütlichen, friedlichen Hügeln und verschlafenen, weiten Wäldern, sowie akustisch eingehüllt von der leisen, gleichmäßigen Bewegung verträumter Wellen und dem vergnügten Gezwitscher der Vögel, bot wahrlich die Möglichkeit, die Seele baumeln zu lassen. Jedoch, bei dem Gebrüll und dem Herumgetobe, das die Burschen während unserer Zeit dort veranstalteten, stellte sich die Möglichkeit des Seele-baumeln-lassens als ein wenig hinderlich heraus - allerdings war ich auch nicht mit der Erwartungshaltung eines bevorstehenden ruhigen, gemütlichen Ausfluges hergekommen. Vor dem Essen spielten wir noch -wie könnte es anders sein- Cricket, bzw. las ich nach dem Essen ein wenig in dem Buch das mir Konrad vor 2 Wochen geborgt hatte. Ich streite nach wie vor mit mir selbst, ob der Höhepunkt dieses Tages nun die einzigartige, in all seiner Schönheit sich entfaltende Natur, oder ob der Höhepunkt das Essen war. Biryani Rice mit gerösteten Nüssen, Chicken Curry und Chili-Zwiebel-Curd. Das Essen war jedenfalls ohne Frage ebenfalls ein Erlebnis für sich. Leider gibt es viel zu selten dieses Gericht in Vimukti – das letzte Mal gab es das zu Weihnachten. Jedoch -> jetzt wo wir einen Hühnerstall in Vimukti gebaut haben -welcher auch schon bald von Hühnern beherbergt werden soll-, klammere ich mich zunehmend an die Hoffnung, künftig öfters dieses Gericht auf dem Teller vorzufinden. Schon bald nach dem Essen fuhren wir jedenfalls leider wieder zurück. Ich resümiere: Nach einem eher stressigen Vormittag, wurde der Tag zunehmend immer besser und schließlich sogar ganz nett. 

Ich beim Hissen der indischen Flagge
Dem schlussendlich doch überwiegend netten, und entspannten Mittwoch, folgte ein ziemlich verrückter Donnerstag. Es war der 26. Jänner und damit Republic Day -> Ahok und Siva nahmen wohl die Botschaft der, mit der am 26. Jänner 1948 in Indien ausgerufenen Republik, neuerworbenen Unabhängigkeit und Freiheit, ein wenig zu wörtlich und hauten in den frühen Morgenstunden ab. Nachdem ich aufgestanden und hinunter in den Eingangsbereich gegangen war, bot sich mir ein seltsames Bild: mit einem verlegenen Kratzen am Kopf und einem Runzeln der Stirn stellte ich fest, dass keiner da war. Kein Herumgetobe, kein von allen Seiten einschlagendes ‚Good Morning Brother‘, keine Rauferei, kein gar nichts. Mir war natürlich sofort klar, dass irgendetwas  passiert sein musste. Ein paar Minuten später kamen eine Handvoll Burschen beim großen Eingangstor zur Anlage hereinspaziert und erzählte mir, dass Ashok und Siva abgehaut seien, und dass alle Burschen ihnen nachgerannt seien um sie aufzuhalten. Offensichtlich mit Erfolg, da Ashok und Siva im Anhang mit ein paar anderen Burschen ein wenig später in Vimukti eintrudelten. So fing der Tag mal an. Gegen Mittag versuchte Ashok wieder abzuhauen. Diesmal gelang es ihm. Speziell Raja (einer der Mitarbeiter) war, bzw. ist sehr verärgert über das derzeitige, kopflose Verhalten der Burschen, und brüllte mal ein paar Stunden mit ihnen herum. Weiters kamen natürlich keine Fathers aus Vijayawada zu Besuch –so wie Sonntagabend angekündigt-, und es wurde auch nicht getanzt. Nicht einmal das köstliche Frühstück, bei dem es Puri (gehört u.a. zu meinem indischen Lieblingsfrühstück) zu essen gab, konnte die missmutige Stimmung auflockern. Neben dem Frühstück war für mich das Hissen der indischen Flagge am Dach des Gebäudes, das am Vormittag stattfand, das positive Highlight des Tages. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass ich das tun durfte. Die Burschen und Mitarbeiter versammelten sich daraufhin vor der Flagge und sangen die indische Nationalhymne. Was ich als eine sehr schöne Tradition erachtete. Und gleichzeitig dachte ich mir auch, dass ich es eigentlich schade finde, dass nicht auch bei uns in Österreich ein bisschen mehr Nationalbewusstsein am Nationalfeiertag herrscht -> aber ich muss mich da natürlich auch selber an der Nase packen, da auch ich in der Vergangenheit der historischen Bedeutung dieses Feiertages nicht gerade besonders viel gedachte. Nun, das war es weitestgehend vom Donnerstag. Weiter zum letzten Tag der Woche. 

Freitag war, wie bereits schon erwähnt, der eigentlich einzig normale Tag; ganz ohne sonderliche Vorkommnisse. Einzig erwähnenswert scheint mir, dass in der Nacht von Donnerstag auf Freitag wieder 3 Burschen -Ramesh, Iru und Akil- versucht haben abzuhauen. Raja, einer der Mitarbeiter, ist die Nacht über allerdings wach geblieben und hat daher den Ausbruch verhindern können. Weiters sind uns an diesem Tag in Vijayawada 3 Volontäre aus Vishakhapatnam besuchen gekommen.

Abschließend möchte ich noch kurz erwähnen, dass wir Volontäre letzten Sonntag, von dem Lassi Mann, Uncle Pivy, bei dem wir uns am Wochenende immer Lassis (das ist so ein süßes Milchgetränk) kaufen gehen und der seinen Stand direkt neben unserer Volontärs Unterkunft hat, zur Hochzeit von seiner Tochter eingeladen wurden. Bin schon wahnsinnig gespannt auf meine erste indische Hochzeit!  

Soweit zu meiner doch etwas strapazierenden Woche. Bereits mit einer gewissen Sehnsucht blicke ich dem Urlaub mit meiner Familie, also mit meinen Eltern und meiner Schwester, Ende Februar entgegen. Jetzt heißt es wieder für eine Woche ab ins Chaos. Und obwohl ich mich zur Zeit doch etwas ausgelaugt fühle, so freue ich mich trotzdem schon wieder auf meine Burschen diese Woche. Das ungewisse und mulmige Gefühl, das in den ersten Monaten jeden Sonntag bevor ich nach Vimukti gefahren bin, in mir hochgekommen ist, ist langsam aber sicher geschwunden. Obwohl es Vimukti noch immer Woche für Woche schafft mich zu überraschen, trete ich mittlerweile viel aufgeschlossener und aufgeklärter meine Arbeit an. Aber mal sehen womit Vimukti meine Aufgeschlossenheit diese Woche wieder ins Wanken geraten lässt.
Euch wünsche ich jedenfalls eine erfolgreiche und schöne Woche.

Liebe Grüße aus Indien

Konstantin

Samstag, 21. Januar 2012

Benefizkonzert Ankündigung die Zweite; und über eine -mal wieder- eindrucksreiche Woche


Sonntag. Wieder Zeit für meinen Blog. Auch für diesen Blogeintrag möchte ich, bevor ich zum eigentlichen Eintrag komme, ein wenig Zeit und Platz investieren, um euch einerseits aufmerksam zu machen, dass unter diesem Blogeintrag endlich die Fotos von der Weihnachtsfeier zu finden sind (bei welcher wir ja den Burschen die Sport Uniformen und die Cricket Ausrüstung, deren Beschaffung ihr ja finanziell unterstützt habt, geschenkt haben!), und andererseits, um für die, die letzten Sonntag keine Zeit für meinen Blog gefunden haben, das bereits angekündigte Benefizkonzert nochmal anzukündigen:
Kommenden Freitag, den 27. Jänner, findet in der Sautergasse 34, 1170 Wien, ein Benefizkonzert für mein Projekt Navajeevan Bala Bhavan und meine Arbeit dort statt. Erwarten bei dieser Veranstaltung wird einen ein abwechslungsreiches Konzert von Klassik bis Jazz, eine Tombola, schönes Ambiente und Kleinigkeiten für das leibliche Wohl. Einlass ist um 19 Uhr, Beginn 19 Uhr 30, der Eintritt beträgt 5 Euro. Alle Einnahmen dieses Abends kommen meinem Projekt zugute! Übrigens werde ich auch per Videobotschaft ein wenig über meine Zeit und meine Arbeit hier in Indien sprechen. Organisiert wird dieses Konzert von der karitativen Jugendorganisation SLOSH (=Spread Love Or Stay Home), der ich selbst auch angehörig bin.
Für jeden der zu diesem Benefizkonzert nicht kommen kann, gibt es natürlich auch die Möglichkeit einfach so mein Projekt und meine Arbeit hier zu unterstützen. Um die Weihnachtszeit hatte ich für mehrere, unter anderem selbstinitiierte Unterstützungsaktionen ein Spendenkonto eingerichtet – für genauere Informationen bezüglich dieser Unterstützungsaktionen besuche man entweder das Benefizkonzert oder lese sie bitte in einer der vorherigen Blogeinträge nach! Vielen, vielen Dank jedenfalls für jeden bereits gespendeten Euro, und jeden der noch gespendet wird! Hier das Spendenkonto:

Jugend eine Welt - Don Bosco Aktion Österreich
PSK-Kto-Nummer: 92.083.767
BLZ: 60 000
Verwendungszweck: Vijayawada INH-03-7061 Moser

Eigens für meine, für diesen Volontariatseinsatz erbrachten Einsatzkosten, besteht natürlich ebenfalls noch immer die Möglichkeit mich zu unterstützen – nach wie vor bin ich auch hierbei für jede Unterstützung sehr dankbar:

Jugend eine Welt - Don Bosco Aktion Österreich
PSK-Kto-Nummer: 92.083.767
BLZ: 60 000
Verwendungszweck: Volontariatseinsatz Konstantin Moser

Ich danke nochmals wirklich vielmals für eure Unterstützung, ohne welcher mein Volontariat hier in Indien von Anfang an nicht realisierbar gewesen wäre.


Diese Woche fängt mein Blogeintrag bei letztem Dienstag an. Von Montag gibt es einfach nicht so viel zu erzählen – von Dienstag eigentlich auch nicht wirklich, jedoch habe ich an diesem Tag von einem erschütternden Vorkommnis in meiner Projekt- und Volontärszentrale Yuva Bhavan gehört. In Yuva Bhavan, wo ich mich auch jedes Wochenende aufhalte, gibt es einen Sick Room, in welchem die erkrankten Kinder und Jugendlichen von den Teilprojekten behandelt werden. Nun ist dort, an jenem Dienstag, ein kleiner Junge verstorben. Seine inneren Organe haben, aufgrund des vielen Kleberschnüffelns in den letzten Jahren, aufgehört zu funktionieren. Ich war natürlich sehr betroffen als ich das gehört habe, denn auch in meinem Teilprojekt Vimukti gab es bis vor kurzem noch einen etwa 12 Jahre alten Jungen, der abhängig vom Kleberschnüffeln war/ist. Suri, bzw. Surendra ist sein Name. Ich habe euch im letzten Blogeintrag bereits von ihm erzählt – Suri stieß vorletzte Woche neu in Vimukti dazu, konnte sich aber am Tag seiner Ankunft, da er noch kurz davor Kleber geschnüffelt hatte, nicht mehr daran erinnern, wie er hier her gekommen war, was er hier mache und wo genau er überhaupt sei. Ich werde nicht vergessen wie er damals, aufgrund der überfordernden Situation, völlig fertig zu weinen angefangen hat. Ich dachte dennoch Suri kann auf jeden Fall noch geholfen werden, denn er entschloss sich damals, nach einem längeren Gespräch mit dem In Charge Sudharka, doch in Vimukti zu bleiben – was meiner Meinung nach auch wirklich eine gute Entscheidung war, denn ich hatte zunehmend das Gefühl, dass es ihm hier besser gefällt; er spielte sehr gut Cricket und machte auch brav beim Englisch Unterricht mit. Nun ist er aber vor 2 Tagen, also am Donnerstag, weggelaufen. Suri war ein … ja, ein seltsamer Fall. Er war ruhig, brav und überhaupt nicht auffällig im negativen Sinne; er erledigte alle Pflichten brav und wirkte im Unterricht aufgeweckt – ich steckte ihn sogar in die besser sprechende Englisch Gruppe, in der er auch gut mithielt. Und dann war er plötzlich weg. Nun, mir war schon klar, dass es sich auch bei Suri um einen, in seinen Sozialkompetenzen und seinem Verhalten, stark beeinträchtigen Fall handelte – so wie ich ihn damals, bei seiner Ankunft in Vimukti, erlebt hatte, hätte mir niemand mehr dieses Bild eines von den Drogen stark mitgenommenen Jungen mehr nehmen können; aber Suri konnte man - in Gegensatz zu allen anderen Burschen, die ich in Vimukti in meiner Zeit bisher kennengelernt habe und die einst in regelmäßigem Kontakt mit Drogen gestanden sind – seine schwere Vergangenheit nicht so sehr ansehen. Und gleichzeitig hat er es, im Vergleich zu allen anderen Burschen in Vimukti, am wenigsten lange ausgehalten sich der Straße zu entziehen. Und irgendwie will mir sein Fall nicht mehr aus dem Kopf gehen. Vielleicht macht es mich deshalb so betroffen, dass er weg ist, weil ich so viel Potential in ihm erkannt habe.
Aber genug von Surendra, nun zu Mittwoch. Mittwoch war zu einem Teil mal wieder ein sehr ‚tierischer‘ Tag – darauf werde ich aber später noch genauer eingehen. Zum anderen Teil war er einfach deshalb besonders, weil wir wieder zwei Neuzugänge bekommen haben – Akil und Iru. Beide waren bei ihrer Ankunft kaum ansprechbar und wirkten noch sichtlich gezeichnet von der Straße – 2 weitere, schwierig zu- und umgängliche Burschen also. Bei Akil musste mir zudem keiner erklären, dass er abhängig von Substanzen ist - dafür reichte ein Blick in seine rot unterlaufenen, halb geschlossenen Augen und auf seinen abgemagerten Körper, der nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen scheint – die Arme schlaff herunterhängend, als wären sie Ballast der mühselig zu tragen ist. 15 Burschen leben mittlerweile in Vimukti, und mein Arbeitsfeld scheint sich von Woche von Woche immer ein wenig mehr zu erschweren. Natürlich freue ich mich immer, wenn wir Neuzugänge bekommen - das bedeutet einfach, dass es das Street Presence wieder geschafft hat, Kinder bzw. Jugendliche von der Straße wegzubringen. Gleichzeitig, als logische Konsequenz, erschwert sich, wie schon bereits erwähnt, dadurch aber auch meine Arbeit, da die sozial und mental sehr negativ beeinträchtigen Neuzugänge immer, besonders in der Anfangsphase, viel Kampf bedeuten. Sei es auf Ebene des fehlenden Respekts, des Ignorierens von Anweisungen oder der übertriebenen Belustigung über alles, was Konrad und ich machen. Und es ist nicht so, als ob ich ihr Verhalten nicht verstünde, nein, ich maße es mir auch nicht an es zu kritisieren – natürlich werden Konsequenzen bei Fehlverhalten gesetzt, aber meine Hauptantwort auf ihr oftmals sogar ein wenig gehässiges Verhalten, ist, so versuche ich es zumindest mehr und mehr, es nicht persönlich zu nehmen, abzuhaken, und weiter so gut ich kann für sie da zu sein. Und wenn ich ehrlich bin, ist das jedoch das schwerste an meiner Arbeit. Es ist alles andere als immer leicht, über diese Dinge zu stehen.
Wie auch immer, nun zum ‚tierischen‘ Teil des letzten Mittwochs. Als ich mich am Nachmittag jenen Tages gerade auf dem Weg vom Gebäude zum Feld, auf welchem gerade Cricket gespielt wurde, befand, huschte plötzlich Lakshmi, die Hündin der Köchin aus dem Gebüsch, mit einer halben Ziege im Maul. Ein wenig verdattert blieb ich stehen und beobachtete, wie Lakshmi in unmittelbarer Nähe von mir begann, an der offensichtlich schon etwas verwesten Ziegenhälfte herumzureißen. Lange ließen auch nicht ihre Welpen auf sich warten, um an dem Festmahl teilzunehmen. Nach ein paar -von diesem Ziegenmassaker- gemachten Fotos, entschloss ich mich schließlich, nun endlich dem Cricket Match beizuwohnen. An der Stelle sei übrigens gesagt, dass ich Cricket mittlerweile ziemlich gerne spiele. Die ersten 2 – 3 Monate dachte ich zwar, ich könnte dieses Spiel nie ein ganzes Jahr lang jeden Tag mit den Burschen spielen, da ich es in meiner Anfangszeit auch einfach nur noch satt hatte - es war  für mich sterbenslangweilig, ich verstand es nicht und ich dachte bevor ich das ein ganzes Jahr lang spiele würde ich eher wahnsinnig werden-, und obwohl es nach wie vor unaufhörlich in Vimukti gespielt wird, habe ich mittlerweile Spaß daran gefunden. Zum Teil liegt das sicher daran, dass ich die von den Burschen in Vimukti etwas eigenen Regeln endlich verstehe, zum anderen Teil aber auch daran, dass ich während eines Matches von den Burschen nicht mehr so viel ausgelacht werde, da ich mittlerweile eigentlich doch schon halbwegs gut Cricket spielen kann (was wohl unweigerlich der Fall sein muss, nachdem ich es fast jeden Tag spiele). Soviel jedenfalls so am Rande zu Cricket; nun aber wieder weiter zur eigentlichen Geschichte. Am Cricketfeld angekommen, sollte mein Aufenthalt jedoch nur von kurzer Dauer sein – kurz nach meiner Ankunft türmten, plötzlich und wie vom Blitz getroffen, alle Burschen vom Platz und verkrochen sich im Gebäude. Nachdem sich alle schreiend, duckend und mit nervösen Blicken den Himmel fixierend vom Cricketfeld entfernten, dachte ich schon, da würde ein Drache vom Himmel herunterkommen und zum Angriff blasen – sicherheitshalber lief ich also einfach mal mit. Wie sich herausstellte, hatte nur einer der Burschen einen Stein gegen einen blühenden Mangobaum geworfen, in welchem jedoch gerade Bienen bei der Arbeit waren. Nun, durch den Steinwurf verständlicher Weise empört, ließen uns die Bienen wissen, dass sie mit der Aktion nicht einverstanden waren. Das war‘s aber auch schon. Gestochen wurde niemand – hätte mich auch gewundert, bei dem Tempo, mit dem die Burschen vom Platz getürmt sind.
Von Donnerstag gibt es nicht viel zu berichten, außer vielleicht, dass es mir gesundheitlich nicht ganz so gut ging. Ausnahmsweise hatte ich jedoch keine Probleme mit dem  Magen; ich hatte mich nur, so wie letzte Woche auch schon, einmal wieder erkältet. Am Nachmittag hatte ich sogar ein bisschen Fieber. Verwundert über meine Erkältung war ich nun doch ein wenig, da ich mich in der Nacht – in welcher die Temperatur mittlerweile bis zu 6 Grad herabsinken kann – immer zusätzlich mit Pullover, Socken und geschlossenem Fenster schlafen lege. Tagsüber ist es zwar ein bisschen milder, jedoch mit 25 Grad im Schatten nach wie vor mehr als warm genug. Nun, so schaut jedenfalls tiefer Winter in Indien aus. In 2 Wochen soll es jedoch, so habe ich mir zumindest sagen lassen, wieder wärmer werden.
Am Freitag stieß wieder ein neuer Junge in Vimukti dazu. Prasand sein Name. Bei ihm hatte ich mehr Schwierigkeiten ihn einzuschätzen -als wie zum Beispiel bei Akil-; aber ich denke Zeit, mir ein Bild von ihm zu machen, werde ich kommende Woche noch genügend haben. Heute Abend fahre ich wieder zurück in mein Projekt. Und in letzter Zeit ist es für mich, immer bevor ich zurück in mein Projekt fahre, folgende Frage die ich mir in meinem Kopf unweigerlich stellen muss: Wie viel Burschen heute wohl noch da sind? Siva zum Beispiel, den ich, wie es euch vielleicht schon aufgefallen ist, mittlerweile fast jede Woche in meinen Blog einbaue, redet in letzter Zeit ständig nur noch davon wieder mit dem Zug durch Indien zu fahren. Er wirkt unglücklich und macht auch bei nichts mehr mit. Und er will auch mit niemandem reden. Ich denke bei ihm ist es wohl wirklich nur noch eine Frage der Zeit, bis er endgültig nicht mehr da ist.

Am Ende meines Eintrages möchte ich noch kurz auf das Thema ‚Müll‘ eingehen. Am Freitag, als ich mal wieder durch die Stadt spaziert bin, kam es mir in den Sinn, mal in meinem Blog ein bisschen mehr darauf einzugehen. Es ist eine Situation, mit dem Müll hier in Vijayawada, die sich wohl kaum ein Mensch bei uns zu Hause vorstellen kann. Speziell in letzter Zeit, da die Zugänge zu den verschiedenen Kanalabzweigungen des Krishna Rivers, die mitten durch die Stadt fließen, geschlossen wurden – sprich die Flussarme des Krishna Rivers sind verebbt und man sieht bzw. RIECHT den ganzen Müll der auf dem Flussbett so herumliegt. Als der Krishna River durch die Kanalabzweigungen durch Vijayawada geflossen ist, hat es schon genug gestunken, aber mittlerweile ist der Gestank für einen normal riechenden Menschen -speziell wenn man sich in der Nähe der Kanalabzweigungen befindet- fast schon untragbar geworden. Man braucht sich nur mal auf eine Brücke stellen und ein Flussufer beobachten, auf welchem ganz besonders viel Müll herum liegt – sogleich bemerkt man, dass sich das ganze Ufer zu bewegen scheint -> überall Ratten. Große, kleine, dicke, dünne. Manche raufen sich, manche paaren sich,… und das zieht sich so dahin. Am Anfang meines Volontariats fand ich am Gewöhnungsbedürftigsten die kleinen offenen Seitenkanäle, die sich links und rechts der Straßen entlangziehen und in denen neben Exkrementen jedmöglicher anderer Müll offen herumschwimmt. Mittlerweile habe ich mich daran aber ganz gut gewöhnt – an die neue Situation mit dem verebbten Fluss jedoch noch nicht. Das wird auch sicher noch eine gewisse Zeit lang dauern.

Ach,  da fällt mir noch kurz ein erwähnenswertes Ereignis ein: Letzten Montag, als Konrad und ich uns gerade auf dem Weg nach Vimukti befanden, fand auf einer Straße in Vijayawada, die abgesperrt und nur für Fußgänger zugänglich war, eine ‚Leichenzeremonie‘ statt. Ein verstorbener Mann wurde auf offener Straße auf ein Podest gelegt und betrauert - ohne Leichentuch oder sonst etwas um ihn zu verdecken. Eine Bekannte des Toten weinte hemmungslos, und ich fragte mich, wieso so etwas öffentlich gemacht wird – gut, indische Traditionen eben. Später wurde der verstorbene Mann wahrscheinlich verbrannt und seine Asche in den Krishna River gestreut – das haben wir dann jedoch nicht mehr mitbekommen.

So, nun finde ich aber doch endgültig zu einem Ende. Auch wenn ich noch immer weiterschreiben könnte - aber meine freie Zeit am Wochenende ist begrenzt und ich habe noch ein paar Sachen für heute geplant, die sich ausgehen müssen. Meinem Schreibdrang werde ich daher erst wieder nächstes Wochenende wieder freien Lauf lassen. Bis dahin wünsche ich euch allen eine schöne Woche und viel Spaß beim Rodeln oder Schifahren oder was euch halt sonst so Unternehmungstechnisch möglich ist im österreichischen Winter und mir nicht.

Mit indischen Grüßen

Konstantin

Freitag, 20. Januar 2012

Fotos von der Weihnachtsfeier in Vimukti

Samstag, 24. Dezember, Vormittags: Die Burschen versammeln sich im festlich geschmückten Class Room

Dekoriert von Konrad und mir

2 Fathers aus Nuzvid halten den Weihnachtsgottesdienst

Nach dem Gottesdienst wurde das Krippenspiel aufgeführt, das Konrad und ich mit den Burschen eingeübt haben
(Hier im Bild sieht man Maria und Josef)

Maria und Josef auf Herbergssuche

Ein Engel (links auf dem Stuhl) erscheint dem Hirten und seinem Schaf (aufgrund von Personalmangel hatten wir nur einen Hirten)

Die heiligen Drei Könige folgen dem Stern über Bethlehem (der dritte König und der Stern sind leider untergegangen bei dem Bild)

Alle versammelt um das Jesuskind (liegt hier zwischen Maria und Josef, leider ebenfalls nicht gut zu sehen)

Bei der Szene haben wir dann alle 'Silent Night' gesungen 



Nach dem Krippenspiel hielten u.a. Konrad und ich eine Ansprache vor den Burschen, bevor es dann ans Geschenke verteilen ging!

Was ist denn das im Rucksack? Etwa ein neues Cricketset?? - *Gejubel*

Freude! (Rechts -> Mastan fest umklammernd den neuen Cricket Schläger)

Prasad mit den neuen Wickets -> Freudestrahlen

Sai in seiner neuen Sportuniform (seit dem Tag habe ich ihn fast kein einziges Mal mit was anderem mehr angezogen gesehen)



Und die Welpen kommen bezüglich festlicher Dekoration natürlich auch nicht zu kurz

Samstag, 14. Januar 2012

Benefizkonzertankündigung, Reißausnehmer und Schlangenbeschwörer


Bevor ich zu meinem eigentlichen Blogeintrag komme, möchte ich zunächst noch eine kleine Ankündigung machen: Am Freitag, dem 27. Jänner findet in Wien, in der Sautergasse 34, 1170 Wien ein Benefizkonzert für mein Projekt Navajeevan Bala Bhavan und meine Arbeit dort statt. Einlass ist um 19 Uhr, Beginn des Konzertes um 19.30 Uhr, der Eintritt beträgt 5 Euro (alles Geld kommt zu 100% Navajeevan und meiner Arbeit zugute!). Erwarten bei dieser Veranstaltung wird euch ein abwechslungsreiches Konzert von Klassik bis Jazz, eine Tombola, schönes Ambiente und Kleinigkeiten für das leibliche Wohl. Organisiert wird dieses Konzert von der karitativen Jugendorganisation SLOSH (=Spread Love Or Stay Home), der ich selbst auch angehörig bin.

Ich würde mich über zahlreiches Erscheinen sehr freuen! J

An der Stelle möchte ich auch gleich noch einmal auf meine Spendenaktion aufmerksam machen, die ich zur Weihnachtszeit für mein Projekt Vimukti und Navajeevan gestartet habe. Ein großes Dankeschön an jeden der schon gespendet hat; Bilder von der Weihnachtsfeier, bei der die Burschen ihre Geschenke bekommen haben, stelle ich heute noch auf den Blog. Nach wie vor würde ich an der Stelle jedoch um eure Unterstützung bitten, da noch einiges aussteht. Was genau für Spendenaktionen ich da zur Weihnachtszeit gestartet habe, ist in einer meiner vorherigen Blogeinträge nachzulesen. Hier jedenfalls nochmal das Spendenkonto für die Aktionen:
Jugend eine Welt - Don Bosco Aktion Österreich
PSK-Kto-Nummer: 92.083.767
BLZ: 60 000
Verwendungszweck: "Vijayawada INH-03-7061 Moser"

Auch für meine Einsatzkosten würde ich nach wie vor um Unterstützung bitten. Auch hierfür stelle ich nochmal das Spendenkonto hoch:
Jugend eine Welt - Don Bosco Aktion Österreich
PSK-Kto-Nummer: 92.083.767
BLZ: 60 000
Verwendungszweck: Volontariatseinsatz Konstantin Moser
(Verwendungszweck ist bitte unbedingt anzugeben!)

Vielen Dank für eure Unterstützung! Ich bin für jeden Euro dankbar.

Nun zu meinem Eintrag:
Sonntag. Wieder eine Woche vergangen. Die Zeit scheint tatsächlich langsam zu vergehen. Heute ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen – tatsächlich ist es gar nicht mehr so lange bis zu meinem Geburtstag. Unfassbare 20 Jahre werde ich alt. Nach meinem Geburtstag dauert es dann auch nicht mehr lange bis zum Besuch meiner Eltern und meiner Schwester, und der gleichzeitig dazu ablaufenden 1. Hälfte meines Einsatzes! Ende Februar ist Halbzeit. Mit dem Ankommen meiner Eltern und meiner Schwester in Indien, werde ich auch gleich mal in Halbzeitpause gehen. Eine Woche Urlaub mit meiner Familie in Kerala, einem kleinen naturparadiesischen Bundesstaat im Südwesten Indiens, ist dann angesagt. Kann es schon kaum erwarten.

So, aber was hat sich in der Zwischenzeit in Vimukti so getan? Nach 2 Wochen war ich endlich mal wieder von Beginn an in Vimukti; die 2 Wochen davor stieß ich krankheitsbedingt immer erst ein bisschen später dazu. Obwohl, ganz von Beginn an dabei war ich diesmal auch wieder nicht, da ich erst Montagfrüh und nicht Sonntagabend nach Vimukti fuhr. Der Grund dafür ist mit einer kleinen Geschichte verknüpft. Sonntagnachmittag, als ich mich gerade auf dem Weg in die Projekt- (und Volontärs-)zentrale Yuva Bhavan befand, traf ich auf einen, mir noch aus der Zeit im Shelter bekannten Jungen, der sich direkt vor den Toren Yuba Bhavans schluchzend herumtrieb. Obwohl er kein Englisch sprechen kann, konnte er mir dennoch gestikulierend vermitteln, dass er nicht wüsste was er tun solle, total planlos sei und dass ich mit Father Koshy (dem Leiter von Navajeevan) reden solle. Ich nahm ihn daraufhin mit in die Projektzentrale und sprach mit Father Koshy. Dieser sagte mir, dass er schon die letzten 3 Stunden mit dem Burschen geredet hatte aber einfach keinen Ausweg für seine Situation finden konnte. Das Problem mit dem Jungen war, dass er offensichtlich der Straße verfallen ist, da er immer, wenn er zu einem Ausbildungszentrum von Navajeevan vermittelt wurde, von dort gleich wieder weggelaufen ist – trotz anfänglicher Einwilligung seinerseits, es mit einer Ausbildung zu versuchen. Niemand wusste noch weiter mit ihm. Ich machte daraufhin den Vorschlag, dass er doch einfach mit mir nach Vimukti kommen sollte, wo er sich mal ein bisschen Auszeit nehmen und sein Leben neu ordnen könnte. Die Idee gefiel Father Koshy wie auch dem Jungen. Das Problem war nur, dass er noch unbedingt sein Geld vom Shelter holen wollte. Father Koshy meinte jedoch, dass wenn er jetzt wieder gehen würde, er nicht mehr auftauchen würde; daher wurde dem Jungen vorgeschlagen, ihm einfach sein Geld nach Vimukti nachzuschicken. Doch dieser wollte unbedingt sein Geld selbst holen. Und nachdem er in dieser Angelegenheit schlichtweg nicht mit sich reden ließ, blieb mir keine andere Wahl als einfach auf ihn zu warten und zu hoffen, dass er vielleicht doch auftauchen würde. Ich wartete den ganzen Abend, doch er kam nicht. Als ich schließlich einsah, dass er nicht mehr auftauchen würde und dass Father Koshy Recht gehabt hatte, war es bereits zu spät um nach Vimukti zu fahren, da es doch eine ziemlich lange Reise dorthin ist, welche zudem nicht gerade die ungefährlichste ist. Vor allem bei Nacht. Daher fuhr ich erst am nächsten Morgen. Dass die mögliche Resozialisierung dieses Jungen nur aufgrund dieser dummen Sache mit dem Geld gescheitert ist, ärgert mich noch immer, da er sich vor allem anfänglich echt gefreut hat mit mir nach Vimukti zu kommen. Doch die Straße hat mal wieder gesiegt. Wie sie leider so oft siegt.
Das Thema ‚Weglaufen‘ war diese Woche übrigens auch in Vimukti wieder Thema Nummer 1. Außer einer Ausnahme, der ich mich zunächst widmen möchte. Gopi Kumar, der erst vorletzte Woche zum Camp dazu stieß, verließ bereits letzten Sonntag, also nur ein paar Tage später nach seiner Ankunft, unter Absprache mit dem In Charge Sudharka, das Camp. Normaler Weise kommt es in Vimukti nicht vor, dass ein Campteilnehmer ein paar Tage später schon wieder das Camp -offiziell und ordnungsgemäß-verlässt, aber hierbei dürfte es triftigere Gründe gegeben haben. Bei Gopi handelte es sich jedenfalls um den einzigen abgesprochenen Fall, was das Verlassen des Camps angeht. Bei den Fällen Siva, Mahesh und Anil war diese Angelegenheit weniger offiziell abgesprochen, sondern Montagmorgen um 4 Uhr in der Früh einfach kurzerhand in die Tat umgesetzt. Die Burschen nahmen Reißaus, konnten dem ‚Ruf der Straße‘ nicht mehr widerstehen. Raja, einer der Campmitarbeiter, war zum Glück zu dieser Zeit wach, bekam die Aktion mit  und konnte die Burschen aufhalten. Einmal mehr möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass die Burschen, bevor sie nach Vimukti kommen, freiwillig einwilligen bei diesem Rehabilitationsprogramm mitzumachen. Aber die ersten Wochen in Vimukti sind, für besonders hart vom Schicksal bzw. von der Straße getroffene Fälle, alles andere als einfach. Die völlige Abgeschnittenheit von der Straße, den Drogen, den Zigaretten oder dem Alkohol kann bei manchen zu Kurzschlussreaktionen führen. Bei den einen kommen diese häufiger, bei den anderen weniger häufig vor. Bei Fällen wie zum Beispiel Siva, dessen Hintergrundgeschichte man eigentlich kaum glauben kann, treten diese Kurzschlüsse regelmäßig mindestens einmal die Woche auf. Am Donnerstag war er plötzlich wieder weg. Als Sudharka und ich das bemerkten, setzten wir uns kurzerhand aufs Motorrad und gingen ihn Suchen fahren -ich befand mich kurz zuvor noch beim Cricket spielen, hatte also nicht mal Schlapfen an-. Wir fuhren auf die Hauptstraße und durch das angrenzende Dorf, wo wir ihn schließlich am Straßenrand herumschleichend fanden – auf der Suche nach noch halbwegs brauchbaren Zigaretten, die möglicherweise irgendwo im Staub liegen. Die Geschichte von Siva habe ich euch in meinem vorletzten Blogeintrag schon näher offenbart; wer sie also noch nicht kennt und daran interessiert ist, der weiß jetzt, wo sie nachzulesen ist. Noch am selben Tag, also Donnerstag, stieß am Abend ein neuer Junge zu uns in Vimukti hinzu. Sein Name ist Surendra. Ravi Kishore, einer der Campmitarbeiter, hat ihn von einem Trip nach Vijayawada mitgenommen, wo er ihn zuvor im Shelter kennengelernt und ermutigt hat, mit ihm nach Vimukti mitzukommen. Nachdem ich mich bei ihm, im Zimmer von Sudharka, vorgestellt hatte, sah er mich eine Weile nur ziemlich verdattert an. Ravi Kishore meinte zu mir ein wenig verhalten, dass er noch unter Drogeneinfluß stünde – er könne sich nicht mal mehr daran erinnern, wie er überhaupt nach Vimukti gekommen sei und was er hier mache. Plötzlich fing er zu weinen an. Nachdem Sudharka ein paar Stunden mit ihm geredet und er sich wieder beruhigt bzw. die Wirkung der ein paar Stunden zuvor eingeworfenen Droge nachgelassen hatte, entschied er sich doch zu bleiben.  
Ich resümiere: Zur Zeit ist es ein ziemlich verrücktes Auf und Ab mit der Anzahl der Burschen im Camp. Nach aktuellem Wissensstand sollten es derzeit 13 Campteilnehmer sein. Aber wer weiß wie viele es noch sind wenn ich morgen in der Früh wieder in Vimukti ankomme (erst morgen in der Früh, da sich heute zwei Volontäre wieder zurück in die Heimat machen, und für den heutigen Abend daher noch ein gemeinsames Abschiedsessen eingeplant ist). Die sich in letzter Zeit ständig in Veränderung befindende Zahl der Anwesenden, ist natürlich mit dem konstanten Wachsen von immer mehr ‚schwierigen‘, also sozial besonders schwer beeinträchtigen Fällen, in Verbindung zu bringen. Was für mich logischer Weise auch eine zunehmende Erschwernis der Arbeit bedeutet, die ohnehin schon davor nicht gerade eine einfache war. Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, in meiner Aufgabe gewachsen zu sein; fühle mich weniger überfordert. Mit dem derzeitigen Haufen in Vimukti wäre ich am Anfang meines Volontariats glaube ich total überfordert gewesen. Auch wenn es mit den Burschen damals auch alles andere als leicht war. Aber die derzeitigen Burschen sind einfach ein ganz eigene Herausforderung für sich. Aber wie schon gesagt: Ich merke, dass ich in meiner Aufgabe wachse; werde also schon fertig damit. Ich blicke der nächsten Zeit jedenfalls nach wie vor optimistisch gegenüber, auch wenn sie sicherlich ein gewisses Stück Arbeit und Nerven kosten wird.
Übrigens fällt mir gerade ein, dass für Donnerstag tatsächlich noch was hinzuzufügen ist. Konnte der Tag überhaupt noch vollgesteckter sein? Jedenfalls kamen uns 5 Volontäre besuchen, die sich mal das Projekt anschauen wollten. Kurz vor ihrer Ankunft hatte ich mit den Burschen noch meine ‚Drawing Class‘ -also quasi Bildernische Erziehung wenn man so will-, die seit der letzten Mitarbeiterbesprechung nun jeden Donnerstag stattfindet. Jedenfalls habe ich den Burschen gesagt, sie sollen ‚Hearty Welcome‘ - Zeichnungen für die Volontäre anfertigen – eine Aufgabe, die manche von ihnen mit geradezu rührendem Fleiß angingen. Während dem die Volontäre da waren, waren die meisten Burschen geradezu engelsgleich. Nachdem sie uns wieder verließen, resümierte ich, dass ich mir eigentlich mehr solche Besuche wünschen würde. Aber das ist aufgrund der Abgelegenheit von Vimukti wohl ein nicht-in-die-Tat umsetzbarer-Wunsch.
Abschließend noch erwähnenswert scheint mir, dass ich letzten Dienstag, als wir mit den Burschen in Nuzvid im Kino waren, das erste Mal auf einen Schlangenbeschwörer getroffen bin. Soweit ich das beurteilen konnte hatte dieser in seinen Körben zwei Kobras und eine Klapperschlange. Ich hatte schon gehört, dass es in der Gegend von Vimukti auch Kobras usw. geben soll, hoffe aber auch mal welche in freier Wildbahn vorzufinden. Zumindest aus einer gewissen Entfernung.

Nun, ich bin mal wieder am Ende meines Eintrages angelangt. Später werde ich, wie bereits schon erwähnt, voraussichtlich noch ein paar Fotos von der Weihnachtsfeier hochstellen. Jedenfalls wünsche ich euch noch einen schönen Sonntag und eine angenehme Woche.

Ganz liebe Grüße aus Indien

Konstantin

Samstag, 7. Januar 2012

Meine erste Streetwork Erfahrung und warum Indien laut ist


Bevor ich zum eigentlichen Blogeintrag komme, möchte ich mich hier zu anfangs noch kurz entschuldigen, dass ich letzte Woche nichts geschrieben habe – ich war mit einer Grippe außer Gefecht gesetzt. Weiters muss ich hier auch leider ankündigen, dass ich die Fotos von der Weihnachtsfeier erst nächste Woche auf den Blog stellen kann – Konrad und ich wollten noch Fotos austauschen, doch dazu werden wir heute wohl nicht mehr kommen, da er noch in Goa ist.
Als kleine Wiedergutmachung tanzt euch Vamsi hier etwas vor:


Nun zum eigentlichen Grund meines Schreibens. Meine letzten 2 Wochen. Hm, was ist in diesen alles so passiert - ach, da fällt es mir ein, unter anderem hatten wir ja Neujahr! Ein frohes neues Jahr wünsche ich euch! Mein Silvester fiel rein ereignistechnisch etwas karg aus. Eine halbe Stunde vor Mitternacht fing die Neujahrsmesse auf dem Rooftop der Volontärszentrale endlich an, die ich musikalisch am Keyboard gestalten sollte. Zu Mitternacht war es jedoch, wie man es sich denken kann, dann aber so laut, dass man nicht mehr viel von der Messe hatte – also wurde die Messe 5 Minuten nach Mitternacht abgeblasen; wir wünschten uns ein frohes neues Jahr und genossen das Feuerwerk bei einem fantastischen Ausblick. So kann man auch ins Jahr starten. Ein oder zwei Stunden verbrachten wir noch mit den College Boys auf dem Rooftop. Der Dachboden der Volontärszentrale ist übrigens mein persönlicher Lieblingsort in Vijayawada! Es handelt sich um einen eigentlich offenen Dachboden, mit einem für Regentage aber eigens extra angebrachten Flugdach, an welchem total gemütliche Hängesessel fixiert sind, in denen ich schon den einen oder anderen Lesenachmittag verbracht habe. Man hat außerdem einen Wahnsinns Überblick vom Rooftop über ganz Vijayawada.

Nun, soviel zu meinem Silvester. Aus ereignistechnischer Sicht muss der vorangegangene Donnerstag, also der 29. Dezember, jedoch ganz klar über Silvester positioniert werden. Bevor ich zu der Geschichte komme, noch die dazugehörige, kurze Vorgeschichte: 2 Tage vor dem bereits erwähnten Donnerstag, fand in Vimukti eine Leiterbesprechung statt, in der ausgemacht wurde, dass mit den Vimukti – Burschen ein kleines ‚Experiment‘ gemacht werden sollte. Es sollten ihre ‚Social Skills‘ getestet werden – die Burschen sollten zu Straßenkindern hingehen und sie ermutigen, zu Navajeevan mitzukommen. Prinzipiell ist diese Idee auch keine schlechte, da die Burschen natürlich dieselben Erfahrungen mit den anderen Straßenkindern teilen. Jedoch war es, Konrad und meiner Meinung nach, nicht gerade vorteilhaftester Natur, die ‚Social Skills‘ aller Campteilnehmer beim Streetwork zu testen; dieses Experiment hätte wenn, dann nur bei den 4-5 Burschen die mental auch stabil sind, durchgeführt werden sollen. Manche Burschen waren erst seit 1 - 2 Wochen in Vimukti und waren bzw. sind nach wie vor problematische Fälle, die mit ihrem Leben einfach nicht klar kommen. Wenn es nicht Drogen sind, die manche von den Burschen in Vimukti verfolgen, dann ist es die Straße, die sie verfolgt. Ja, die Straße kann in dem Fall als eine Droge angesehen werden - das wird als ‚Street addiction‘ bezeichnet. Jeder der Campteilnehmer willigt freiwillig ein, bei dem Rehabilitationsprogramm von Vimukti mitzumachen, und damit bis zum Ende des Programms von der Straße und den Drogen abgeschnitten zu sein. Aber was passiert, wenn man einem Drogenabhängigen, der sich gerade erst in der Rehabilitationsphase befindet, Drogen vor die Nase hält? Richtig, er wird rückfällig. Und genau das ist auch mit 3 Burschen an besagtem Donnerstag passiert, als ihre ‚Social Skills‘ beim Bahnhof von Vijayawada getestet werden sollten – sie wurden der Straße rückfällig und liefen weg. Ich sah mit 2 von den anderen Burschen Krishna und Ginnar Sai weglaufen – wir liefen ihnen über die Gleise nach und mussten sogar unter einen Zug krabbeln. Leider haben wir sie nicht mehr erwischt. Prasad ist sogar auf den fahrenden Zug aufgesprungen – wäre nicht Shareef an Ort und Stelle gewesen um ihn wieder runter zu zerren, wäre er wohl auch weg gewesen. Dieser Donnerstag war also mehr eine einzige Aufpass - Aktion auf die straßenabhängigen Campteilnehmer. Für etwa eine halbe Stunde am Vormittag jedoch,  verlief es tatsächlich mal planmäßig und wir sprachen ein paar von den Straßenkindern am Bahnhof an. Das war eine sehr interessante Erfahrung, denn so konnte man auch mal sehen, was das ‚Street Presence Team‘ von Navajeevan jeden Tag am Bahnhof arbeitet. Es werden alle bekannten Verstecke abgegangen und die Burschen angesprochen und ermutigt, zum Shelter mitzukommen. Was ich bei diesen Verstecken gesehen habe, war eine erschreckende Erfahrung. Verwahrloste, schmutzige Jugendliche, ausgebreitete Kartons als Schlafunterlage, Ratten die direkt neben offenen Wunden von den Jugendlichen vorbeihuschen, kleine Glasfläschchen in welchen verschiedenste Drogen und Substanzen enthalten waren, Tüten zum Kleberschnüffeln,… Viele von ihnen waren schon bei Navajeevan, wo sie sich waschen konnten, frische Kleider und was zu essen erhielten. Manche befanden sich sogar schon in einer Ausbildung. Doch die Straßenabhängigkeit hat sie immer und immer wieder eingeholt. Dennoch arbeitet das ‚Street Presence Team‘ unablässig jeden Tag daran, diesen Jugendlichen wieder eine Chance zu geben, von der Straße wegzukommen. Eine Arbeit, die sicher viel Ausdauer und Geduld kostet, aber unheimlich wertvoll ist. Ich finde es sehr gut, dass Navajeevan auf diesem Bereich so viel Initiative zeigt. Denn darum geht es einfach – vom sinkenden Schiff nicht einfach nur ein paar Privilegierte, die sich richtig verhalten und dem sofort Folge leisten was man sagt, ins Rettungsboot zu setzen und davon zu rudern, sondern selbst aufopfernd am sinkenden Schiff zu bleiben und unablässig zu versuchen, so viel Menschen wie nur möglich, und seien noch so schwer umgängliche dabei, ins Rettungsboot zu bekommen.
Der Campleitung von Vimukti war dieser Tag jedenfalls eine Lehre, und obwohl sie ursprünglich auch Freitag noch mit den Burschen am Bahnhof Street Work machen wollten, fuhren sie bereits Donnerstagabend bereits zurück ins Projekt. Noch bevor sie losfuhren, waren zum Glück die 3 Ausreißer auch wieder in der Gruppe versammelt. Soweit ich weiß ist Mastan reuevoll wieder zurückgekehrt, Krishna und Ginnar Sai wurden später am Bahnhof noch aufgegabelt.

Abschließend möchte ich noch eine kurze Abhandlung über das Thema ‚Lärm in Indien‘ schreiben. Der folgende Text entsprang meinem Kopf während einer Busfahrt in die Stadt Nuzvid, also zu meinem Projekt Vimukti. Einerseits besteht er aus einem eigentlich offensichtlichen Punkt, also den sich ohnehin jeder denken kann der gerade in Indien verweilt, und einem vielleicht weniger offensichtlichen Punkt. Bei dieser Busfahrt saß ich jedenfalls neben dem Busfahrer und mir fiel mal wieder auf, dass der Busfahrer alle 5 Sekunden hupt. Unablässiges Herumgehupe auf Straßen – eine typische Charakteristik Indiens. Nein, es ist mehr als eine Charakteristik, es ist eine Lebensversicherung. Die Inder leben von ihrem Lärm. Natürlich hat das zum Teil auch mit der südländischen Mentalität zu tun, aber der überwiegende Grund für das ständige Herumgehupe ist das unaufhörliche Herumgewusel auf den Straßen – sobald ein Bus in eine Straße einbiegt -ganz gleich ob es sich um eine kleine Seitengasse, Hauptstraße oder Landstraße handelt-, kannst du sicher sein, dass mindestens 50% der Leute, die sich in dem Moment mitten auf der Straße befinden, keine Ahnung davon haben, dass ein Bus gerade auf sie losdüst; weitere 30% beabsichtigen gerade, mit einem gedankenverlorenen Blick steinern auf die eigenen Füße gerichtet (zu Gedankenverlorenheit neigen Inder -genauso wie ich- besonders gerne), die Straße zu überkreuzen. Dann wird einmal kurz und ohrenbetäubend gehupt und sofort wird abrupt die Straße freigemacht –diese Szene bietet sich in Indien einem so oft, dass der gedankenverlorene Inder sich noch nicht einmal mehr dazu bemüht seinen Kopf zu heben, nein, er bleibt nur einfach stehen; sobald der Bus vorbei ist geht er dann gedankenverloren wieder weiter und reagiert erst wieder auf das nächste Hupen-. Als nächsten Grund für den ständigen Lärm, den man in Indien täglich ausgesetzt ist, kam mir die aus der hohen Bevölkerungszahl resultierende Angst der Leute, in der Masse unterzugehen, in den Sinn. Eine Milliarde Menschen, da wird man leicht einer von vielen. Und davor haben viele Inder Angst – sie möchten gesehen und gehört werden (das ist übrigens meiner Meinung nach auch der Grund warum immer mehr Inder Facebook haben, weil sie dort auf sich aufmerksam machen können). Darum gibt es auch so viele verrückte Inder, die aufgrund von besonders waghalsigen oder verrückten Aktionen gesehen werden wollen. Der Minderwertigkeitskomplex ist in Indien eine ganz besonders stark verbreitete Krankheit. Nicht zuletzt durch die Problematik des Kastensystems, welches nach wie vor beträchtlichen Einfluß auf die Gesellschaft Indiens hat. Wenn der Großteil von 1 Milliarde Menschen als viele, niedere Arbeiter ‚geboren‘ werden, von woher sollen diese dann die Gewissheit nehmen, etwas Einzigartiges zu sein? Und auch wenn die Inder ihre Lebenssituation, aufgrund des Glaubens an das sogenannte ‚karma‘ (jedes Leid ist aufgrund von Fehlern, die im vorherigen Leben begangen wurden, selbstverschuldet), akzeptieren, herrscht dennoch wie bereits schon erwähnt, speziell bei immer mehr jungen Menschen, der Drang, gehört zu werden. Und wer gehört werden will in Indien, der muss laut sein. Sehr laut. Indien lärmt also auf verschiedene Weisen, nicht nur auf akustischer.

So, langsam muss ich mal wieder zu einem Ende finden. Ich bin schon sehr gespannt auf diese Woche. Letzte Woche sind übrigens wieder 3 neue Burschen in Vimukti dazu gestoßen. Jetzt sind es mittlerweile 13 Burschen. Langsam wachsen wir ja doch. Gewachsen ist übrigens auch die Anzahl der Volontäre – 4 neue Volontäre aus Linz haben sich letzte Woche in der Volontärszentrale eingefunden, sind alle sehr nett. Es weht ein gewisser Wind der Veränderung. Speziell in Vimukti scheint dieser auch zu wehen. Vimukti soll programm- und organisationstechnisch auf einigen Punkten verändert werden (unter anderem sollen wir Vogelsträuße, Ziegen, Kühe und Hühner bekommen). Ob sich die Woche in diesem Bereich aber nun wirklich was verändert, werde ich euch erst nächsten Sonntag berichten können.
Bis dahin wünsche ich euch noch einen schönen Sonntag und eine erfolgreiche Woche!

Liebe Grüße aus Indien