Sonntag, 30. Oktober 2011

Ein Friseurbesuch mit Zusatzleistungen



Indien. Ein Land der Menschen, ein Land der Armut, ein Land des Leides, ein Land des Schmutzes, ein Land der Korruption, ein Land des Chaos, ein Land des Überlebenskampfes, ein Land der Farben, ein Land der Düfte, ein Land der Gefühle, ein Land der Emotionen, ein Land der verborgenen Schönheit, ein Land der Geheimnisse, ein Land der Zukunft.
Ein Ort der berührt. Aber auch fordert. Manchmal überfordert.

Überfordert fand ich mich diese Woche glücklicher Weise nur selten wieder, dafür einmal mehr sprachlos aufgrund des Chaoses in der Camporganisation von Vimukti. Fahren Konrad und ich am Montag voll gespannter Erwartung nach Vimukti ob des anstehenden, vermeintlich 'neuen' Campbeginns, um dann bei der Ankunft festzustellen, dass das alte Camp in Wirklichkeit noch gar nicht vorbei ist. Wohl nicht ganz unberechtigt stellten Konrad und ich uns dann die Frage weshalb man uns in den letzten 2 Wochen, die wir im Boys Shelter verbracht haben um die Burschen die in das neue Camp von Vimukti kommen kennenzulernen, nichts davon erzählt hat, dass das alte Camp noch gar nicht aus ist. Seufzend nahmen wir diesen Verdruss zur Kenntnis. Angeblich soll es nun gestern endgültig zu Ende gegangen sein, was für Konrad und mich bedeutet, dass bis das neue Camp in Vimukti beginnt wir unsere Zeit wieder im Shelter verbringen werden. Jedoch, ob dieser uns mitgeteilte Sachverhalt tatsächlich was mit der Realität zu tun hat, wollen wir diesmal lieber überprüfen - am Montag wird gleich einmal in der Früh in Vimukti angerufen um zu fragen ob das Camp auch wirklich vorbei ist. Die ganze Angelegenheit ist, obwohl sie jetzt nicht besonders überraschend kam, einfach ärgerlich, weil man sich schlichtweg auf nichts verlassen kann was die Inder sagen. Fast jede Woche gibt es spontane Planänderungen bei welchen es jedoch scheinbar nicht für nötig gehalten wird, uns davon in Kenntnis zu setzen. Aber wie auch immer, ich gehe jedenfalls eigentlich schon davon aus, dass die vergangene Woche nun auch wirklich die letzte war. Und der Vollständigkeit halber muss ich hinzufügen, dass ich es mittlerweile ja auch schon fast mit einem gewissen Humor betrachte, dass die vergangene Woche die bereits 5. offiziell angekündigte 'letzte' Woche in Vimukti war. Und nachdem in den letzten 5 Wochen die einzelnen Wochen jeweils immer als 'letzte Woche' angekündigt wurden, konnten wir (wenn wir denn überhaupt gerade in Vimukti waren) auch nie wirklich Unterricht machen. Wenn unsere Class - Stunde an jeweiligen Tagen nicht gerade aufgrund 'besonderen Programmes' aufgelöst wurde, dann haben wir einfach Spiele und kleine selbst zusammengestellte Schauspiel Stücke mit den Burschen gemacht. Auch die letzte Woche war einmal mehr davon gezeichnet. Trotzdem gibt es von der letzten Woche wieder ein paar lustige, interessante, vielleicht auch ein wenig verstörende Geschichten zu erzählen. Diesmal muss ich aber bei Sonntag anfangen, genau genommen bei Sonntag Vormittag, eine Stunde nachdem ich meinen Blog Eintrag fertig geschrieben habe.

An jenem Sonntagvormittag war in Planung, nach Fertigstellung meines Blog Eintrages den Friseur aufzusuchen. Dieser ließ sich -eigentlich- nicht lange suchen, direkt gegenüber von der Volontärs Zentrale gibt es, inmitten einer Reihe von mehreren Ständen, einen Stand, der so eingerichtet ist wie ein kleines Zimmerchen. In diesem kleinen Zimmerchen waren 2 Sessel, ein an die Wand geschobener Tisch und ein darauf platzierter Spiegel, alles ziemlich eng zueinander gestellt, zu erkennen - ob es sich bei diesem Zimmerchen aber auch wirklich um eine Friseurstube handelte ließ sich nicht sofort feststellen; erst musste ich noch 2 - 3 Mal ein wenig verhalten und unentschlossen, über den Stand misstrauische Blicke schweifend, daran vorbeiwandern. Schlußendlich aber landete ich doch in einem der beiden gar nicht mal so unbequemen Sessel sitzend, als Kunde eines -so nannte er sich zumindest- Friseurs. Das Ergebnis selbst war eigentlich weitgehend zufriedenstellend, auch wenn er ein paar Haare vergessen hatte zu schneiden beziehungsweise überhaupt keine Ahnung davon hatte wie ich die Haare überhaupt gerne geschnitten gehabt hätte da er einfach ohne irgendwas zu sagen zu schneiden begann alsbald ich im Sessel saß. Jedoch, nachdem ich mich nach getaner Arbeit gerade aus dem Sessel erheben wollte, stemmte er plötzlich seine Hände gegen meine Schultern und gab mir so zu verstehen, dass er noch nicht fertig war mit seiner Arbeit (generell habe ich den "Friseur" eigentlich kein einziges Wort während meines Besuches reden gehört, Kommunikation fand hauptsächlich durch Gestikulation statt). Ich wunderte mich, was der Mann jetzt wohl noch geplant hätte, und ehe ich es mich versah wurde mein Gesicht mit einer Eukalyptuscreme massiert, was ganz klar noch zum angenehmeren Teil der 'Zusatzleistungen' anzurechnen ist. Denn danach begann er plötzlich auf meiner Schädeldecke mit der Faust und der flachen Hand herumzuhämmern und dazu leicht zu summen. Als der Mann damit endlich fertig war, und ich schon ein bisschen Kopfschmerzen hatte, hielt er mich an den Backenknochen fest -ich, mit meinen Augen nervös hin und her blickend hoffte nur, mit der einen oder anderen Schweißperle auf der Stirn, dass mich der Mann heil ließe- und drehte meinen Kopf in einer schnellen, abrupten Bewegung einmal nach links und dann nach rechts - mein Genick, dazu laut knackend, blieb zum Glück unbeschadet, auch wenn ich den restlichen Tag die Folgen dieser doch etwas schmerzhaften Bewegung zu spüren bekam. Dann machte er mir noch eine typisch 'abgeschleckte' Frisur und breitete daraufhin mit einem selbstzufriedenen Lächeln seine Hand aus. 40 Rupie - etwa 60 Cent kostete mich der Friseurbesuch, ließ mich also zumindest finanziell unbeeinträchtigt von dannen ziehen.
Der Besuch bei diesem Friseur sollte mich wohl generell auf eine ziemlich ereignisreiche Woche einstellen. Am Tag darauf, also am Montag, in Vimukti, sollte meine erste Rattenjagd stattfinden. Nichtsahnend und zufrieden seufzend nach einem sättigenden Abendessen machte ich mich zum Rückzug auf in mein Zimmer. Dort ankommend und das Licht aufdrehend, bemerkte ich plötzlich auf dem Tisch neben mir einen Schatten sich blitzschnell von mir wegbewegen - die Identifikation dieses Schattens ließ nicht lange auf sich Warten, ob des langen, nackten Schwanzes den der flinke schwarze Schatten hinter sich her zog. Ich griff zum Besen und dachte mir ich könnte das Getier einfach zur offenen Tür treiben und so aus meinem Zimmer entfernen - noch bringe ich es nicht über mich solche Viecher zu erschlagen, aber wer weiß zu was ich mich in diesem Jahr noch so überwinden lernen muss. Das Tier wollte jedenfalls nicht bei der offenen Tür hinaus, es wollte sich lieber im Badezimmer verbarrikadieren. Da ich jedoch die Ratte für einen Moment aus den Augen verlor, dachte ich zunächst, als ich es nicht mehr auffinden konnte, es wäre bereits bei der Türe hinaus - dem aber nicht ganz trauend, fand ich es zum Glück schließlich doch noch hinter dem Klo sitzend. Das Tier rannte wieder aus dem Badezimmer hinaus und es folgte eine Jagd um das in der Mitte des Raumes platzierten Bettes. Nachdem ich die Ratte so ein paar Runden lang gejagt hatte, hielt ich mal einen Moment inne um mir einzugestehen, dass das so nicht viel Sinn zu haben scheint. Ich berücksichtigte die Tatsache, dass das Viech einfach nicht bei der Tür hinauswollte, dafür aber immer wieder versucht hatte, mit einem kräftigen Sprung das Fenster zu erreichen, über welches es auch ziemlich sicher ins Zimmer gelangt war. Dann kam sie mir endlich, die glorreiche Idee - ich stellte ein kleines Gestell vor das Fenster, über welches kletternd die Ratte dann zum Glück endlich das Fenster erreichte. Erleichtert ließ ich mich auf mein Bett nieder.

Am Mittwoch darauf begann das Deewali Festival, bei welchem es so wie bei uns zu Silvester zugeht, welches jedoch nicht nur aus einem einzigen sondern aus mehreren Tagen besteht und auch heute noch stattfindet. Doch besonders am Mittwoch, also am Anfang dieses Festes, wurden viele Kracher gezündet - in Vimukti wurden später am Abend selbst gebastelte Kracher vom Balkon hinuntergeschossen. Die Dinger machten einen Höllenlärm und ich hatte einen ziemlichen Respekt davor da sie fast unmittelbar nachdem man sie angezündet hat explodiert sind - ungefährlich war das ganze also nicht. Mittwoch war zudem der Tag, an dem ich mich das erste Mal daran versucht habe eine höhere Palme zu erklimmen. Gleich gelang es mir nicht bis zur Blätterkrone hinauf zu gelangen, doch schlußendlich erreichte ich sie doch. Dumm war nur, dass die Palmenblätter, zumindest bei dieser Palme, senkrecht nach oben ausgerichtet waren und ich mich an ihnen hochziehen hätte müssen um mich in die Krone zu befördern. Jedoch versagte bei diesem Versuch dann bei mir die Kraft und ich musste mich hinunterrutschen lassen, was sich als ziemlich schmerzhaft herausstellte, vor allem für meine rechte Fußsohle, die ich mir bei dieser Aktion aufgeschnitten habe. Aber es verheilt zum Glück alles recht gut und ich denke, sobald der Fuß heil ist und ich wieder in Vimukti bin, werde ich mich wieder an eine höhere Palme heranwagen. Jedoch beim nächsten Mal an eine mit Palmenblättern auf die man besser hinaufklettern kann - warum ich mir eine so ungünstige damals ausgesucht habe, ist damit zu erklären, dass sich auf dieser eine besonders große Kokosnuss befand.
Als ein weiteres Highlight von Mittwoch scheint mir noch das herrliche Abendessen erwähnenswert - Biryani Rice mit Egg Curry, eines meiner Lieblings Currys. Nach dem Abendessen wurde noch auf dem Dach zu der Musik von Kishurs Anlage getanzt, ich ließ mich überreden mitzutanzen obwohl mein Fuß nicht unbedingt zum tanzen hätte gebraucht werden sollen. Trotzdem war es ein lustiger Abend auch wenn mein Fuß danach noch mehr geschmerzt hat.
Am nächsten Tag, Donnerstag, wollte ich mir das Rezept des Feiertag - Abendessens von der Küche holen. Riyaz, einer der Burschen die in Vimukti kochen, hat mir versucht das Rezept zu erklären, jedoch hatte ich nach 3 Anläufen diese Erklärungen in gebrochenem Englisch zu verstehen und niederzuschreiben, 3 unterschiedliche Rezepte. Riyaz schlug mir schließlich daraufhin vor, dass wenn ich mit ihm 3 Eier einkaufen ginge, er mir den Biryani Rice und das Egg Curry zu Mittag nochmal zubereiten würde und ich ihm dabei dann einfach zuschauen solle. Gesagt getan. Zum Glück gibt es direkt neben Vimukti eine große Hühner Farm, was die Beschaffung von 3 Eiern zu einer machbaren Aufgabe machte. Endlich also habe ich mein erstes gescheites indisches Rezept. Um Tonys Wunsch (ein Freund von mir) zu respektieren, Rezepte zu sammeln und hier im Blog zu veröffentlichen, plane ich einmal einen eigenen Blog Eintrag zu machen bei dem nur Rezepte augelistet sein werden, da wird dieses dann auch darunter zu finden sein.

Das Wetter wird jetzt übrigens immer milder, die Regenzeit findet seine Ausläufe mit immer häufigeren heftigen Tropen - Regenfällen. Speziell die letzte Woche war geprägt davon. Ab Dienstag ist die Regenzeit dann offiziell vorbei und der 'Winter' beginnt (welcher wohl eher mit dem vergangenen Sommer in Österreich zu vergleichen sein wird - nur mit weniger Regen).
Abschließend noch eine kleine Ankündigung: Nächsten Sonntag werde ich wahrscheinlich nicht dazu kommen in meinen Blog zu schreiben, da ein paar von uns Volontären planen, nächstes Wochenende einen Trip nach Visakhapatnam, einer Stadt direkt an der Küste zu machen. In Visakhapatnam gibt es auch ein Don Bosco Projekt, eine Volontärin von Jugend Eine Welt (die Organisation mit der auch ich diesen Einsatz mache) hat dort ihr Projekt und hat uns zugesichert, dass wir in einer der Don Bosco Einrichtungen schlafen können. Die Zugfahrt dorthin dauert etwa 8 Stunden (endlich mit dem Zug fahren juhu!); losfahren werden wir am Freitag um halb 4 in der Früh und am Sonntag am Abend wieder zurückkommen. Nachdem ich aber die nächste Zeit wohl eh wieder im Boys Shelter verbringen werde -daher unter der Woche im Flat schlafen und damit auch Internet Zugang haben werde-, gehe ich eigentlich schon davon aus, die Woche darauf am Abend mal die Zeit zu finden um meinen Blogeintrag nachzuholen. Falls ich allerdings doch nicht dazu kommen sollte, wird man sich ausnahmsweise mal eine weitere Woche gedulden müssen :P.

So, langsam aber sicher sollte ich wohl doch zu einem Ende kommen. Wieder einmal ein Blog Eintrag mit Überlänge. Aber in solch ereignisreichen Zeiten scheint es mir einfach nicht machbar mich kürzer zu halten.
Wünsche allen eine schöne und erfolgreiche Woche.

Liebe Grüße aus dem äquatorialen Teil der Welt

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