Samstag, 25. Februar 2012

Halbzeit! Der Countdown läuft...


Sonntag, 26. Februar. Mein letzter Blogeintrag im Monat Februar, und auch der letzte Blogeintrag über meine Zeit in meiner ersten Einsatzhälfte. Ende Februar bedeutet für meinen 1 jährigen Indien Einsatz Halbzeit! Und dazu passend werde ich kommenden Mittwoch auch in die langersehnte Halbzeitpause gehen, auf Urlaub mit meinen Eltern und meiner Schwester. 6 Monate bin ich nun schon in Indien. 6 weitere liegen noch vor mir. Wie manchen von euch vielleicht aufgefallen ist, blieb ein neuer Blogeintrag -nicht wie sonst so üblich-, letzten Sonntag aus. Als Grund für diesen Fauxpas, kristallisiert sich heraus, dass ich die ganze vorletzte Woche mit einer bakteriellen Infektion im Darm außer Gefecht gesetzt war, und wegen dieser auch nicht über die, in meinem letzten Blogeintrag von vor 2 Wochen, angekündigte Hochzeit der Tochter unseres Lassi Mannes berichten konnte; da ich anstatt sie zu besuchen meine Zeit damit verbrachte, mich in meinem Bett in der Volontärs Unterkunft, ständig hin und her wälzend, den Bauch zu halten. Die ganze Woche also musste ich in Folge pausieren und blieb in Vijayawada, aß nur Früchte, Joghurt und gelegentlich ein wenig Toastbrot. Mit dem Verlauf der Woche ging es mir allerdings zunehmend besser. An der Stelle sei gesagt, dass ich nicht ausschließe, dass der körperliche Zustand in dem ich mich in dieser Woche befand, auch mit seelischen Gründen zusammenhing. Die letzten Wochen in Vimukti waren einfach sehr intensiv und aufreibend, und nachdem ich zudem seit meiner Ankunft in Indien ohne Unterlass arbeite -wenn ich nicht gerade krank bin-, fühle ich mich in der letzten Zeit zunehmend erschöpft und energielos. Meine Arbeit macht mir nach wie vor Spaß, aber ich brauche wohl einfach mal ein bisschen Ruhe und Abstand von meinem verrückten Burschenhaufen in Vimukti. Umso sehnsuchtsvoller blicke ich dem, in 3 Tagen beginnenden, 1 ½ wöchigen Urlaub mit meiner Familie entgegen. Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was es über die vorletzte Woche zu erzählen gibt. Nun zu meiner letzten Woche.

Meine Woche in Vimukti fing einmal wieder damit an, dass ich zu hören bekam, einer der Burschen, Siva Kumar, sei abgehaut. Weiters waren am Samstag vor einer Woche 2 neue Burschen ins Camp dazu gestoßen. Die Stimmung im Camp ist eigentlich unverändert; also einer eher lethargischen, schwermütigen Natur. Die 2 Neuzugänge machten für mich letzte Woche ebenfalls einen, den meisten anderen Burschen gleichend, schwierigen, missmutigen Eindruck. Obwohl ich mit den beiden einen eigentlich ganz guten Start hatte. Als ich im Camp ankam setzte ich mich einmal zu ihnen hin, fragte nach ihren Namen, wie es ihnen ginge usw. - wie es sich halt gehört. In einer späteren Gruppenbesprechung meinten sie, ich sei der Erste gewesen, der sie nach ihren Namen, ihrem Befinden usw. gefragt hätte. Aus dem Grund waren sie mir gegenüber auch in Folge, zumindest an diesem Tag, aufgeschlossener und entgegenkommend. Die anderen Burschen zeigten jedenfalls von Anfang an Null Interesse an ihnen.  Das hatte jedoch nichts mit ihnen persönlich zu tun. Es ist wohl recht offensichtlich, dass die 2 in einer schwierigen Phase des Camps dazu gestoßen sind. Die meisten Burschen wirken nicht gerade glücklich und sind hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Das macht es für die Neuzugänge natürlich nicht leicht, da an so etwas wie Gruppenintegration der Neuzugänge keiner von den Burschen einen Gedanken verschwendet. So etwas wie eine zusammenhaltende Gruppe existiert eigentlich ohnehin nicht wirklich. Als Folge dessen versuchten die beiden Neuen jedenfalls, am darauffolgenden Tag gleich einmal abzuhauen. Zusammen mit 6 anderen Burschen. Meine Aufgabe während dieses Massenausbruchs am Dienstagvormittag war es, auf die verbliebenen Burschen aufzupassen. Wir setzten uns alle zusammen in einen Raum und ich besorgte ein paar Zeichenunterlagen, woraufhin der restliche Vormittag mit Zeichnen verbracht wurde. Die übrigen Mitarbeiter versuchten die Burschen einzufangen, und bis auf Prasad und Anil konnten zum Glück auch alle zurück ins Camp gebracht werden. Prasad und Anil scheinen allerdings endgültig weg zu sein. Am Nachmittag desselben Tages kam übrigens Konrad, der Volontär mit dem ich zusammen in Vimukti arbeite, von seinem Urlaub auf den Andananen zurück. Am nächsten Tag, Mittwoch, fand, so wie schon am Tag davor, wieder keine Englisch Class statt. Diesmal jedoch nicht deshalb, weil wieder Burschen abgehauen waren, sondern weil an diesem Tag eine Psychologin nach Vimukti gekommen war und den ganzen Vormittag bzw. auch fast den ganzen Nachmittag für ihre ‚Life Skill Class‘ in Anspruch nahm. Auch am Donnerstag gab sie diesen, was als Folge ebenfalls wieder den Ausfall der Englisch Class nach sich zog. Was genau die Burschen in dieser ‚Life Skill Class‘ gelernt haben, kann ich nicht sagen, da nur auf Telugu gesprochen wurde. Aber soweit ich es mitbekommen habe waren unter anderem Gruppenspiele Teil des Programms, die den Zusammenhalt fördern sollen. Am Mittwoch bekamen wir übrigens wieder einen Neuzugang. Kein minder schwieriger Fall als die beiden zuvor eingetroffenen Neuzugänge. Ich würde sogar sagen, dass dieser zu der ganz besonders schwierigen, aufmerksamkeitssuchenden, verhaltensgestörten und an Minderwertigkeitskomplexen leidenden Sorte gehört. Irgendwie stellvertretend für die meisten Vimukti Burschen. Aber was will man erwarten? Die Burschen kommen nun schon seit ein paar Wochen direkt von der Straße her, haben vielleicht ein paar Stunden zuvor gerade erst jemanden ausgeraubt um sich ihre Drogen beschaffen zu können bzw. stehen teilweise noch, wenn sie in Vimukti eintreffen, unter Drogeneinfluss. Ich arbeite an mir, mich mehr und mehr in ihre Situation einfühlen und sie verstehen zu können. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive. Mit der richtigen Perspektive fällt die Arbeit gleich viel leichter, da man beginnt zu verstehen, was die Betreuung von solch schwierigen Fällen eigentlich bedeutet und wie unangebracht es daher ist, ihnen ihr Verhalten übel zu nehmen. Aber ich muss dazu auch erwähnen, dass es die Burschen manchmal echt bis auf die Spitze treiben mit ihrem respektlosen Verhalten, und dann gelingt es mir nicht immer, meine Arbeit aus der Perspektive eines 100% verständnisvollen Menschen zu betrachten.
Am Donnerstag fuhren Konrad und ich in die nächstgelegene Stadt Nuzvid, um ein paar Süßigkeiten als Abschiedsgeschenk für 7 Burschen zu besorgen, da diese am selben Tag noch Vimukti verlassen und mit ihrer Ausbildung in einer der Ausbildungszentren von Navajeevan beginnen sollten. Sollten. Außerdem hatte ich letztes Wochenende Mappen besorgt, um in diesen ihre Arbeitsblätter und Zeichnungen von der Englisch Class und der Drawing Class einzusortieren und ihnen dann mitzugeben. Jedenfalls stellte sich noch am selben Tag heraus, dass die Burschen doch erst in 10 Tagen mit ihrer Ausbildung beginnen werden. Natürlich wurde uns das erst gesagt, nachdem wir die Süßigkeiten schon besorgt hatten. Aus dem Grund bekamen sie unser Abschiedsgeschenk einfach schon am Freitag, da die Sachen nicht 10 Tage lang gehalten hätten (es waren u.a. Bananen usw. dabei). Sie haben sich trotzdem gefreut.
Bei 4 von den Burschen die mit einer Lehre anfangen werden, also Sharef, Sai, Rahul und Vamsi, sehe ich wirklich gute Chancen, dass sie die Ausbildung packen werden. Bei Mastan, Mahesh und Ramesh bin ich jedoch nicht ganz so sicher, da diese meinten, nicht wirklich Lust auf Ausbildung bzw. Arbeit zu haben. Genauso aber haben sie auch keine Lust, in Vimukti zu bleiben. Das Einzige was ihnen in den Sinn zu scheinen kommt, ist in der Luft herumzuhängen, bzw. in Mastans Fall, fernzuschauen. Das ist, wie Mastan sagt, nämlich seine große Leidenschaft, und was er auch wirklich gerne den ganzen Tag lang machen würde. So als Lebensunterhalt versteht sich. Mastan, Ramesh und Mahesh sind ein bisschen stellvertretend für die meisten Burschen im aktuellen Camp. Wenn man sie nicht gerade zu Aktivitäten treibt bzw. sie unterhält, hängen sie einfach in der Luft herum und wissen nichts mit sich anzufangen. Meist aber hängen sie auch dann in der Luft herum, wenn man versucht sie zu unterhalten. Einzige Ausnahme ist natürlich Cricket. Bei der Aktivität sind sie voller Eifer dabei. Doch es ist halt auch ein bisschen zermürbend, wenn man wirklich jeden Tag nur Cricket spielt und die Burschen auf was anderes einfach keine Lust haben. Meine Football Class habe ich aus dem Grund mittlerweile auch aufgegeben, da niemand mehr Interesse an ihr gezeigt hat. Mein einzig treuer Football Class Besucher, der Sohn vom Gärtner -Ginnar Vamsi (Ginnar = kleiner)-, kann meine Class auch nicht mehr besuchen kommen, da er mittlerweile ein Internat besucht. Ich bin also wohl gezwungen darauf zu warten, dass bald mal wieder ein paar Burschen zum Camp dazu stoßen, die auch Interesse daran haben, etwas Neues zu lernen bzw. auszuprobieren. Stichwort Neuzugänge. Donnerstagabend stieß wieder ein neuer Bursche zum Camp dazu. Siva sein Name (von den Neuzugängen dieser Woche ist dieser einzige Name den ich mir gemerkt habe, da die anderen ziemlich kompliziert sind und wohl einfach noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen werden um gemerkt zu werden). Ich hatte noch nicht wirklich viel Zeit, mir ein Bild von ihm zu machen. Soweit ich es in der kurzen Zeit bis Freitag mitbekommen habe, schien er halbwegs gut Englisch sprechen zu können, gleichzeitig aber auch eindeutig an einem Aufmerksamkeitsdefizit zu leiden und so wie die anderen Neuzugänge auch, ebenfalls in seinen sozialen Kompetenzen stark begrenzt zu sein. Mehr werde ich wohl noch die kommenden 3 Tage über ihn in Erfahrung bringen.
Kommen wir aber nochmal zurück zum Thema  -Lustlosigkeit- meiner Burschen. Natürlich hängen jetzt auch nicht alle immer nur in der Luft herum. Immerhin fruchteten unsere Bemühungen, die Burschen bei ihrer Neuorientierung zu unterstützen, bei den bereits erwähnten Burschen Sharef, Sai, Rahul und Vamsi. Wobei Rahul eigentlich auch noch ein kleines Fragezeichen über sich stehen hat. Aber trotzdem. Immerhin. Ich hoffe sehr, dass sich ein paar von den anderen Burschen früher oder später auch noch fangen werden. Auch wenn es für mich oft eine zermürbende und aufreibende Aufgabe ist, bin ich dennoch froh, den Burschen bei ihrer Neuorientierung helfen zu dürfen. Die Arbeit fühlt sich einfach richtig an, auch wenn sie manchmal totale Überforderung bedeutet und an die Substanz geht. Und es zeigt sich auch, dass Burschen im pubertierenden Alter viel gezielter provozieren bzw. auf die Nerven gehen können. Klar ist jedenfalls, dass mit dem Abgang von Sharef, Sai und Vamsi, in Vimukti einiges anstrengender werden wird. Denn auf die 3 war einfach Verlass und halfen auch mit, dass alles halbwegs geordnet abläuft und nicht im Chaos versinkt. Jetzt besteht der Burschenhaufen in Vimukti wirklich nur noch aus Chaoten. Auf die nächsten Wochen bin ich ja schon gespannt. Aber jetzt heißt es ab Mittwoch erst mal Urlaub, bevor der Wahnsinn wieder anfängt.
Abschließend noch eine kurze Zusammenfassung über Samstag. An diesem Tag sind wir Volontäre mit Father Arogia, dem Volontärsverantwortlichen Anand und ein paar College Boys an den indischen Ozean gefahren. Nach ein paar Stunden in der Sonne liegen, mit dem Frisbee hin und her schießen bzw. im herrlich warmen Wasser schwimmen, aßen wir zu Mittag. Danach fuhren wir noch zu einem Vogelbesichtigungspark und anschließend zurück nach Vijayawada. Ein netter Ausflug ohne besondere Vorkommnisse. So kann es eben von Zeit zu Zeit auch laufen in Indien. Einzig weniger erfreuliches Ereignis war vielleicht das Auftauchen von einigen Quallen beim Schwimmen im Ozean. 2 Volontäre wurden gestochen, jedoch war es glücklicherweise nicht weiter schlimm.

So das wars auch schon. Ich muss heute noch für den bevorstehenden Besuch meiner Familie ein paar Sachen erledigen bzw. in der Stadt einkaufen gehen. Bin zugegeben schon sehr aufgeregt. Schließlich hat man nicht alle Tage so ein großes Familienwiedersehen irgendwo in Südasien. Möglicherweise zieht der Urlaub mit meiner Familie das Auslassen des nächsten Blogeintrages nach sich – sollte dem so sein folgt in 2 Wochen auf jeden Fall eine umso detailreichere Urlaubszusammenfassung.

Liebe Grüße aus dem noch immer von Gelsen gebeutelten, brennend heißen Vijayawada

Konsti

Samstag, 11. Februar 2012

Der Handyladen des Wahnsinns



Wieder ein neuer Blogeintrag, und tatsächlich haben wir heute nicht, wie sonst üblich, Sonntag, sondern Samstag. Samstag, den 11. Februar. Diesem Wechsel des Blogveröffentlichungsdatums geht kein willkürlicher Sinneswandel voran, sondern viel mehr die Tatsache, dass ich morgen nicht dazu kommen werde, einen Blogeintrag zu schreiben. Warum? Weil morgen, wie in einem meiner vorhergehenden Blogeinträgen bereits erwähnt, eine Hochzeit stattfindet, zu der wir Volontäre eingeladen wurden. Heiraten wird die Tochter unseres geliebten Lassi Mannes, Uncle Pivy, der seine Lassis (ein beliebtes, süßes Milchgetränk) direkt neben unserer Volontärs Unterkunft verkauft und mit dem jedes Wochenende ein kleiner Plausch über die vorangegangene Woche, das Wetter, usw. gehalten wird. Wenn er mich gerade an seinem Stand vorbeigehen sieht und gerade Lust auf ein wenig Konversation verspürt (was eigentlich immer der Fall ist), dann ruft er mich übrigens unterhaltsamer Weise immer mit ‚Emperor‘ zu sich - da Konstantin auch ein römischer Kaiser war. Ich denke die Tatsache, dass er wusste, dass Konstantin auch ein römischer Kaiser war, und dass man sich mit ihm perfekt auf Englisch unterhalten kann, spricht für die Bildung dieses Mannes (was in Indien alles andere als eine selbstverständliche Sache ist). Er hat mir auch erzählt, dass er studiert hat. Für manch einen stellt sich nun vielleicht die Frage, wieso ein, für indische Verhältnisse, derart gebildeter Mann, in einem kleinen Milchladen arbeitet aus dem ein Baum wächst. Leider kann ich mit einer Antwort zu dieser Frage nicht dienen. Ich habe Ihn deshalb noch nicht gefragt, weil ich dachte, das Thema könnte ihm unangenehm sein. Vielleicht ist es auch besser, diesen Punkt einfach im Raum stehen zu lassen. Jedenfalls treffen wir uns morgen um 7 Uhr in der Früh mit ihm vor seinem Stand, und fahren dann im Auto zur Hochzeit. Wie die Hochzeit war, werde ich euch nächstes Wochenende berichten.
Der Laden unseres Lassi Mannes: Links das Ladenfenster, in der Mitte der Baum
Vor dem Laden -> hier sieht man den Baum aus dem Laden rauswachsen

Nun zu meiner letzten Woche. Auch diese Woche fuhr ich wieder verspätet in mein Projekt. Diesmal aufgrund der Abschiedsfeier von Birgit, die Dienstagabend stattfand. Übrigens besuchte uns von Dienstag auf Mittwoch Martina, eine ehemalige Volontärin von Jugend eine Welt, die ihren Volontariatseinsatz in Vishakhapatnam -eine Stadt, die mit dem Zug etwa 8 Stunden von Vijayawada entfernt ist- hatte, und die das letzte halbe Jahr in Nepal studiert hat. Martina unterstützte uns Indien-Volontäre auch damals bei der Vorbereitung in Österreich. Mit ihr und der neuen Volontärin aus der Schweiz, Dominique, fuhr ich Mittwochvormittag jedenfalls dann los in mein Projekt Vimukti, da beide Interesse daran geäußert hatten, es zu sehen. Konrad kam nicht mit, da er am selben Tag auf Urlaub fuhr – aus diesem Grund werde ich übrigens auch nächste Woche noch allein sein. Nach einem sehr netten Tag kehrten sie am Abend wieder zurück nach Vijayawada.
Ich erfuhr am selben Tag auch, dass einer der Burschen, Krishna, vor ein paar Tagen weggelaufen ist. Nach einem völlig chaotischen Jänner, in dem wöchentlich etwa 3-4 Burschen weggelaufen sind, war die Nachricht jetzt keine Riesen Überraschung; jedoch hatte ich Krishna mittlerweile eigentlich eher zu den Burschen, die zunehmend Rehabilitationsfortschritte machen, eingeordnet. Doch so wurde ich eben einmal wieder eines Besseren belehrt.
Am nächsten Tag, Donnerstag, spielte sich am Abend eine ziemlich ernste und hektische Szene ab. Einer der Burschen, Ivu, dem es körperlich schon länger nicht so gut ging und der auch hohes Fieber hatte, begann, plötzlich und wie aus dem Nichts, Blut zu spucken. Er meinte, dass ihm sein Magen schrecklich wehtun würde. Und speziell in solchen Situationen, wünscht man sich einfach nicht in Indien zu sein, denn Inder verhalten sich in kritischen Momenten einfach total unangebracht und ungeschickt. Nun, ich bin auch kein ausgebildeter Sanitäter, aber mir war zumindest klar, dass man ihn auf schnellstem Wege ins Krankenhaus bringen sollte. Doch zuvor musste einer der Mitarbeiter, der Ivu mit dem Motorrad hinbringen sollte, die Burschen noch zusammenschimpfen weil sie wieder wegen irgendwas Mist gebaut haben. Das hatte in dem Moment natürlich eine höhere Priorität. Ich wischte ihm in der Zwischenzeit mit einem nassen Schwamm das Blut, das um seinen Mund herum klebte, ab und befeuchtete auch ein wenig seine glühende Stirn. Natürlich mussten dann die ganzen Burschen zu uns herstürmen um Ivu anzustarren; bzw. steckte Mastan, der sich in solchen Situationen immer als ein ganz besonderer Spezialist entpuppt, dem armen Kerl sogar noch einen Finger in den Mund. Nach dieser Aktion scheuchte ich mal, mittlerweile ziemlich verärgert, die Burschen von Ivu weg, und nach ein paar weiteren Minuten des Wartens fuhren wir endlich mit dem Motorrad ins „Unfallkrankenhaus“. Das „Unfallkrankenhaus“ war eine kleine Lehmhütte in der sich etwa 40 Leute um den überforderten Arzt herumtummelten. Nach langem Warten kamen wir endlich dran, Ivu wurde untersucht und bekam ein paar Medikamente. Ihm ging es zwar nach dem Krankenhausbesuch nicht sehr viel besser, jedoch keuchte er wenigstens nicht mehr. Ich war nach dem Besuch jedenfalls ziemlich entnervt und heilfroh, als wir endlich in Vimukti ankamen. Mittlerweile geht es Ivu zum Glück schon besser, was er aber genau hatte, konnte mir leider niemand begreiflich erklären.
Am Freitag musste ich am Morgen zunächst mal wieder Sanitäter spielen, da sich Prasad am Fuß eine Schnittwunde zugezogen hatte, und ich der Einzige in Vimukti mit Verbandszeug, Desinfektionsmittel usw. bin. Nach dem Frühstück fuhren wir mit allen Burschen ins Krankenhaus, wo sie mal durchgecheckt wurden. Meiner Meinung nach hätten wir das zwar schon viel früher machen sollen, aber ich bin froh, dass es wenigstens jetzt geschehen ist.

Am selben Tag noch fuhr ich, als ich zurück in Vijayawada war, einmal wieder zu meinem Handyladen, da ich in diesem Laden seit Ende Dezember versuche, mein Handy wieder zum Laufen zu bringen. Ende Dezember fand in Vimukti nämlich eine Steckdosenexplosion statt, bei der mein Handyladegerät wie auch mein Handy kaputt gingen. Seit diesem Vorkommnis fuhr ich jedes Wochenende regelmäßig zu diesem Handyladen, da es jedes Wochenende aufs Neue hieß, dass das Problem -spätestens- das darauffolgende Wochenende behoben sei. Zunächst stellte man mir den Befund, dass das Handy völlig in Ordnung sei, und dass es nur am Handyladegerät liege. Also kaufte ich mir ein neues Ladegerät. Natürlich funktionierte das nach einmaligem Verwenden nicht mehr, also musste ich mir wieder ein Neues kaufen. Bei dem dieselbe Geschichte. Schließlich wurde das Handy mal genauer untersucht; und siehe da, es stellte sich heraus, dass der Akku des Handys kaputt ist. Kurzfristig konnte das Problem, nach langem Herumgeschraube, behoben werden. Natürlich kostete auch das wieder was. Doch auch die Reparatur hielt nicht lange, und das darauffolgende Wochenende musste ich missmutigen Schrittes wieder zum Handyladen latschen. Schließlich schlug man mir vor, einen neuen Akku zu bestellen. Also ließ ich einen neuen Akku bestellen. Das war vor 3 Wochen. Von vielen Seiten wurde mir in der Zwischenzeit nun schon geraten, ich solle mir einfach ein neues Handy zulegen. Doch einerseits komme ich mit den bisherigen Bezahlungen noch immer billiger weg, als wenn ich mir ein neues Handy kaufen würde, und außerdem sind indische Handys, wie ich gehört habe, bedienungstechnisch ein einziges Martyrium. Daher entschloss ich mich, mich einfach in Geduld zu üben. Und nun, siehe da, seit meinem letzten Besuch gestern, habe ich wieder ein -mehr oder weniger-, -provisorisches- funktionierendes Handy! Aber nicht etwa deshalb, weil der Akku, den ich bestellt hatte, angekommen war. Tatsächlich erzählte mir der Handyverkäufer gestern, dass der Akku, den ich vor 3 Wochen bestellt habe, erst irgendwann im März ankommen würde… wenn überhaupt. Aber warum genau habe ich jetzt trotzdem wieder ein funktionierendes Handy? Nun, das liegt daran, dass mir einfach ein anderer Akku verkauft wurde. Dieser passt allerdings eigentlich nicht zum Handy; sprich, würde man das Handy mit einem normalen (!) Ladegerät aufladen, würde man angezeigt bekommen, dass der Akku nicht kompatibel zum Handy ist. Außerdem passt dieser Akku noch nicht mal in das Handy rein, da er zu klein ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Dieser besagte Handy Akku, wurde schließlich mit Papier und Klebeband in dem Handy fixiert, so dass es darin auch hält; weiters wurde mir ein spezielles Multi Aufladegerät verkauft, bei dem ich, -wenn ich das Handy aufladen will- den Akku aus dem Handy nehmen, und ihn dann in das Multi Aufladegerät einsetzen muss. Ich muss zugeben, eigentlich auch nicht gerade unbedingt begeistert mit dieser Lösungsalternative gewesen zu sein, jedoch: Ich habe wieder ein Handy, mit dem man telefonieren kann… daher passt das jetzt schon. Vorläufig. Mal schauen, wie lange das hält.

So, leider muss ich wieder zu einem Ende finden. Ich muss jetzt in die Altstadt fahren und mir für die Hochzeit morgen eine Kurtha kaufen (das ist so ein typisch indisches, traditionelles Trachtgewand für Männer), außerdem noch den Unterricht für die Woche vorbereiten usw.
Ich wünsche euch noch einen schönen, winterlichen Februar, den ihr noch mit jede Menge Schifahren, Rodeln usw. ausnützen solltet. Zumindest würde ich das tun.

Alles Liebe aus Vijayawada

Konstantin

Samstag, 4. Februar 2012

Angriff der Killer Gelsen


Es ist Februar. Bei euch ist es seit ein, zwei Wochen sibirisch kalt geworden; in Indien hingegen wird es wieder zunehmend wärmer (auch wenn es nie kühl oder so gewesen ist, jedoch war es in den letzten Wochen etwas milder als sonst). In einem Monat beginnt schon der indische Sommer und dauert bis Mai an. Eine Jahreszeit, der ich, speziell in Indien, mit sehr viel Respekt entgegenblicke – auf bis zu 50 Grad kann der Temperaturmesser in dem Thermometer hochklettern. Ich sehe mich schon in meinem Zimmer in Vimukti auf dem Boden kauernd, den Ventilator anflehend, nach einem langen Tag ohne Strom, endlich wieder mit seinen für Erleichterung sorgenden Rotationsbewegungen anzufangen. Gleichzeitig freue ich mich aber auch schon auf den Sommer-> denn von März bis Mai haben wir Mango-Season! Und damit habe ich mit den 300 Mango Bäumen in meinem Teilprojekt Vimukti einfach den Jackpot gezogen. Ich blicke dieser Zeit also mit gemischten Gefühlen entgegen.
Aber ich beschäftige mich zur Zeit eigentlich nicht so sehr mit dem bevorstehenden Sommer; viel mehr verbringe ich meine Zeit damit, mit meinem aktuellen Alltagswahnsinn zurecht zu kommen. Zu diesem hat sich nun nämlich, zumindest wenn ich gerade in Vijayawada bin, eine Gelsenplage hinzugesellt, die vor ein paar Wochen dort ausgebrochen ist. Der Grund für die Gelseninvasion sind die verebbten Kanalarme, von denen ich euch bereits erzählt habe -> vor ein paar Wochen noch durch Vijayawada fließend, sind deren Zuführungen aus dem Krishna River mittlerweile geschlossen worden. Was auf Gutdeutsch heißt: Überall auf dem verebbten Flußbett sieht man -neben übel riechendem Müll- kleine Wassertümpel die als Gelsenbrutstätten einen neuen ‚Existenzzweck‘ gefunden haben.
Mit Einbruch der Dämmerung und in der Nacht wurde es in den letzten Wochen mit den Gelsen -bzw. Mosquitos (bei Gelsen wissen unsere deutschen Volontärskollegen unterhaltsamer Weise nicht wovon die Rede ist)- langsam aber sicher unaushaltbar. Mittlerweile aber lässt es sich -zumindest nachts- mit dem Gelsenwahnsinn leben, da wir uns ein paar Anti-Gelsen Räucherstäbchen besorgt haben, die es in Indien glücklicherweise überall zu kaufen gibt und die -im Gegensatz zum indischen Gelsenstecker- auch wirklich was bringen.

Nun, soviel zu meiner derzeitigen Gelsensituation. Über meine Woche in Vimukti gibt es diesmal -ausnahmsweise- eigentlich nicht wirklich etwas zu berichten, da ich erst am Donnerstag nach Vimukti gefahren bin. Am Montag und am Mittwoch musste ich unter anderem ein paar administrative Arbeiten in der Stadt erledigen, die mir zwar den letzten Nerv geraubt haben, von denen es jetzt aber nichts weiter zu erzählen gibt. Am Dienstag war der ‚Don Bosco Day‘, an welchem dem Jugendheiligen Don Bosco zu seinem Todestag gedacht wurde. Wir Volontäre begrüßten die Mitarbeiter, die zu diesem Anlass aus allen Teilprojekten in die Projekt- und Volontärszentrale Yuva Bhavan strömten, mit Blumen und hörten uns eine Telugu Rede über Don Bosco von Father Arogia an. Am Abend fand noch eine Messe statt mit einem anschließendem Festessen. Nun ja, also ereignistechnisch kann die Woche wohl nicht ganz mit der vorhergehenden mithalten. Jedoch ist es zumindest dieses Wochenende noch ein wenig abwechslungsreicher gewesen. Am Samstagabend feierten Barbara und ich mit den anderen Volontären und den Fathers im Yuva Bhavan unseren Geburtstag, welcher bei Barbara am selben Tag stattfand und bei mir 2 Tage zuvor stattgefunden hatte. Weiters gehen wir Volontäre zu diesem Anlass auch heute noch in das Restaurant ‚Flavours‘ essen. Ebenfalls erwähnenswert: diese Woche verlässt uns nach 1-jährigem Aufenthalt Birgit, eine Volontärin aus Österreich, die ebenfalls ihren Einsatz mit Jugend eine Welt gemacht hat. Am Dienstag findet das Abschlussessen statt.

Nun… mein Schreibdrang ist noch nicht ganz gestillt, und irgendwie liegt mir das folgende Thema auf der Seele; daher möchte ich jetzt noch kurz, zumindest versuchen, in Formen zu fassen, wie ich die Zeit seit meiner Ankunft in Indien erlebt habe.
Es ist ein etwas eigentümliches und schwer zu beschreibendes Gefühl, wenn ich jetzt nach 5 Monaten versuche, meinen Einsatz zu reflektieren und in Worte zu fassen. Wenn ich an die Zeit vor meinem Volontariat denke, welche mittlerweile nur noch als ziemlich verschwommen und wie eine halbe Ewigkeit zurückliegend in meinem Gedächtnis abrufbar ist, dann muss ich über die Art und Anzahl von Vorstellungen, die ich mir von meinem bevorstehenden Einsatz damals gemacht habe, schmunzeln. Mein Volontariat ist überhaupt nicht so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber bei mir sind Dinge selten so, wie ich sie mir im Vorhinein, in unrealistischen und teilweise in Idealismus verloren gegangenen Gedankenzügen ausgemalt habe. Das heißt nicht, dass ich meinen Einsatz, in meinen Vorstellungen, als eine positivere Erfahrung erlebt habe. Nur als eine völlig andere. Wahrscheinlich aber geht es vielen Volontären so, bevor sie auf einen so langen Einsatz fahren, dass sie bereits eine Vorstellung, eine gewisse Erwartungshaltung von ihrem bevorstehenden Jahr in der Fremde haben. Es gibt aber auch die Volontäre, die schon Erfahrung in diesem Gebiet gesammelt haben und die mit einer ab- bzw. aufgeklärteren Einstellung diesem Jahr gegenübertreten. Bei mir war es mehr wie ein Sprung ins eiskalte Wasser. Zwar habe ich mich im Vorfeld mit Jugend eine Welt auf das Jahr vorbereitet, bzw. in meiner Kirche, der City Church, und bei dem sozialen Verein ‚Kiddy und Co.‘, im Bereich der Kinderbetreuung ein wenig Erfahrung gesammelt. Doch was so ein Jahr letzten Endes für einen bereithält, kann man erst wissen, wenn man es erlebt hat. Und genau dieser Gedanke hat mir damals des Öfteren den Magen umdrehen lassen. Diese Ungewissheit. Meine derzeitigen Erlebnisse und Erfahrungen lassen sich, wie bereits schon gesagt, schwer mit Buchstaben, Wörtern und Sätzen beschreiben… wenn ich mir meinen Einsatz aber jetzt so hernehme, dann schießen mir spontan doch ein paar dazu passende Wörter in den Sinn, auch wenn diese niemals das ganze Ausmaß an Erlebnissen und Eindrücken decken können… dabei wären Extravaganz, Emotion, extreme Ungewohntheit, Intensität, Herausforderung, Gefühlschaos und unablässig einfallender Schwall an Eindrücken. Ich weiß nicht ganz, was ich mit dieser Gefühlsreflektion bezwecken will; was sich in mir seit ein paar Monaten nun schon bei all den Eindrücken abspielt, kann ich ohnehin kaum verständlich vermitteln. Einzig ausdrückbar ist vielleicht, dass mich meine Zeit hier mit einer Intensität und Inspiration beeinflusst, wie ich es vor meinem Einsatz in Österreich, niemals erlebt habe. Auch wenn ich die Zeit selbstverständlich nicht immer auf eine positive Art und Weise intensiv erlebe. An manchen Tagen spielt sich die Intensität der Erlebnisse und Eindrücke einzig auf einer überfordernden und an den Kräften zerrenden Ebene ab; meine Arbeit in Vimukti wurde bzw. wird an solchen Tagen als ein einziger, verbissener Kraftakt erlebt. Aber es gibt eben diese und jene Tage. Einzig unverändert, an so ziemlich jedem Tag, bleibt die hohe Intensität der einfallenden Eindrücke. Nun, ich möchte jetzt nicht länger auf diesem Thema herumreiten… es lag mir nur auf der Seele, diesem, in mir bereits seit Längerem, heranwachsenden Gedankenspiel, zumindest zum Teil, Ausdruck zu verleihen.

Abschließend möchte ich noch kurz auf einen Punkt eingehen, bei dem mich mein Vater gebeten hat, dass ich ihn noch ein wenig näher erläutere. Ich persönlich bin nicht auf die Idee gekommen, auf diesen Punkt einzugehen, da ich dachte, dass er eh klar wäre.
Jedenfalls, wie euch bereits aufgefallen ist, rede ich fast jede Woche immer nur von meinen -Burschen- in meinem Teilprojekt Vimukti. Jetzt haben sich ein paar von euch vielleicht die Frage gestellt, warum es nicht auch Mädchen in Vimukti gibt bzw. ob Navajeevan auch eigene Teilprojekte für Mädchen hat. Zunächst einmal: Vimukti soll eine Möglichkeit für die Burschen bieten, um den Kopf von allem frei zu kriegen und sich neu zu orientieren -> aus diesem Grund dürfen auch keine Mädchen nach Vimukti kommen, da diese für die teilweise stark pubertierenden Burschen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit Ablenkung bedeuten würden. ABER: Das heißt nicht, dass es keine Mädchenprojekte gäbe! Im Kinderdorf Chiguru zum Beispiel, wurde erst unlängst das neue Mädchen – Cottage ‚Balika‘ eröffnet,  in welchem nur Mädchen betreut werden. Es gibt auch ein zweites, älteres Mädchen – Cottage in Chiguru. Weiters gibt es zudem ein eigenes Mädchen Ausbildungsprogramm, in welchem Mädchen unter anderem einen Computerkurs besuchen können. Das war jetzt nur ein schneller Auszug an Teilprojekten von Navajeevan, die sich auf Mädchen spezialisieren; es gibt noch weitere. Es gibt auch Heime, Bridge Schools, einen Kindergarten (bei diesem sind die Kleinkinder aber gemischt),... Falls sich also hierbei bei einigen von euch die Frage gestellt haben sollte, ob es denn auch speziell für Mädchen die von der Straße kommen, Angebote gibt, dann hoffe ich, dass diese hiermit geklärt wurde.

Soweit, so gut. Einmal wieder bin ich am Ende meines Eintrages angelangt. Zwar war der heutige einmal ausnahmsweise weniger actionmäßig als informativ, aber ich hoffe dennoch, dass sich der eine oder andere von diesem Text etwas mitnehmen konnte. Nun, bleibt mir nur noch, euch noch einen schönen Wochenendausklang und eine erfolgreiche Woche zu wünschen.

Liebe Grüße aus Indien

Konstantin