Sonntag, 9. Oktober 2011

Über 'unvorteilhaft investierte Zeit', Hahnenkämpfe und Froschschenkel


Heute haben wir Sonntag, den 9.10.2011. Ich blicke auf eine lange Woche in Vimukti zurück. Es ist bei mir gerade Nachmittag und ich bin erst seit ein paar Stunden wieder zurück in Vijayawada.  Die Tatsache, dass ich erst seit heute Vormittag wieder zurück bin hängt mit der eigentlich schon fast vorhersehbaren Zerstreutheit der Inder zusammen; das Vimukti - Abschlußfest fand nämlich nun doch nicht, wie ursprünglich angekündigt, am Mittwoch statt, sondern gestern Abend. Sprich bis heute Morgen befand ich mich noch in der Einöde von Vimukti und fühle mich aufgrund der heute Vormittag ewig langen Rückreise nach Vijayawada den Umständen entsprechend geschlaucht (auch weil ich gesundheitlich nicht ganz in Ordnung bin, aber dazu später mehr). Ein Roman wird daher jedenfalls heute wohl eher nicht zu erwarten sein. Aber mal sehen.

Kommen wir zurück zum bereits erwähnten Stichwort -lange Woche-. Lange fühlt sich eine Woche besonders dann an, wenn sie entweder 'unvorteilhaft investiert' scheint oder wenn sie anstrengend ist. In meinem Fall hat sie sich eigentlich weniger anstrengend angefühlt - unter Anderem weil wir nur ein einziges Mal English class hatten, da dauernd irgendwas 'Besonderes' für den Tag vorgesehen war, von dem Konrad und ich natürlich, so wie eigentlich immer, erst kurz vor der class erfahren haben und was somit unsere Wochenplanung für die class zu nichte gemacht hat-, als dass sich meine Woche 'unvorteilhaft investiert' angefühlt hat. Dieses Gefühl, die Zeit 'unvorteilhaft investiert' verbracht zu haben, hing in meinem Fall meistens mit dem für den jeweiligen Tag bereits erwähnten 'besonderen Programm' zusammen. Nun, man kann es sich eigentlich schon denken, 'besonderes Programm' hieß zumeist ganz einfach Cricket. Gut, am Donnerstag war Feiertag, das war aber auch eigentlich der einzige Tag an dem ich es verstanden habe, dass die class ausfällt. Natürlich war klar, dass die Burschen, in ihrer letzten Woche in Vimukti, keinen mühsamen Stoff durchkauen wollen. Aber das hatten Konrad und ich auch nicht geplant, wir hatten kleine Storys zusammengestellt die sie, natürlich als Englischsprechende Darsteller, in verschiedenen Gruppen nachspielen sollten. Schauspielen macht den Burschen nämlich eigentlich einen Heidenspaß, wie wir schon letzte Woche festgestellt haben, als wir -zu dem Zeitpunkt ebenfalls im Glauben es handle sich um die letzte Woche im Camp-, uns ein paar Storys zum damals aktuellen Thema 'Handelssituationen' aus dem Finger gezogen haben. Aber warum genau hat sich die Zeit jetzt 'unvorteilhaft investiert' angefühlt!? Um es auf den Punkt zu bringen: ich bin mir ein bisschen überflüssig vorgekommen. Einige Stimmen mögen dazu jetzt laut werden um zu sagen, dass Zeit die man sich nimmt nur um für diese heimatlosen Jugendlichen da zu sein, niemals 'unvorteilhaft investierte' Zeit sein kann. Und diese Stimmen mögen natürlich auch Recht haben. Aber wie ich schon in einem meiner vorhergehenden Blogeinträge erwähnt habe, so hatte ich eben besonders in der class das Gefühl, den Burschen etwas vermitteln zu können, zu ihnen einen gewissen Draht aufzubauen. Die class bildete quasi meinen Hauptanteil zur Resozialisierung der Jugendlichen, nicht nur wiel ich ein wenig die englische Sprache vermitteln konnte, sondern weil ich in diesem Rahmen auch am meisten zu ihnen durchgedrungen bin meiner Meinung nach. Bei einer Hand voll Burschen war die class nicht mehr nötig um zu ihnen durchzudringen, bei einigen Anderen hätte ich aber wohl einfach noch ein bisschen mehr Zeit benötigt. Meine Zeit hier in dem Camp kam mir generell ziemlich kurzlebig vor. Ich befinde mich eigentlich erst in der Phase, in der man gerade erst alle Namen gelernt und das erste etwas verhaltene Herantasten langsam abgelegt hat, und beginnt, eine Art Alltag zu erleben. Aber ich gestehe auch nicht gerade besonders dicke Tränen über das Ende des Camps zu weinen. Auch wenn mir eine Hand voll Burschen hier irgendwie schon ans Herz gewachsen ist, so freue ich mich trotzdem überwiegend auf das nächste Camp; unter Anderem aus dem Grund, weil ich bei diesem auf keine eingeschworene Gruppe treffen werde, sondern auf einen Haufen Burschen der sich in dem entlegenenen Terrain von Vimukti anfänglich ähnlich unsicher fühlen wird wie ich mich damals gefühlt habe. Und bei diesem Eingewöhnungsprozess bin ich voller Optimismus, als unterstützende Kraft für die Jugendlichen sich an die neue, ungewohnte Situation schneller einzugewöhnen, sobald das neue Camp dann beginnt, zu einem besseren Start finden zu können als mit den Burschen von dem noch aktuellen Camp damals - das übrigens erst am Dienstag endgültig zu Ende ist. Dennoch wohl unabkömmlich ist, dass zu all diesen rosarot klingenden, wenn nicht sogar idealistischen Gedankenzügen bezüglich der schon bald anbrechenden Zeit im neuen Camp, eine gewisse Portion Realismus miteinfließen sollte. Es kann nämlich ohne Weiteres sein, dass sich beim neuen Camp wieder etwas schwerer zugängliche Burschen befinden werden, die mir dann meine Zeit auch mit mehr Kampf versehen. Die positive Richtung die sich für meine kommende Zeit in Vimukti abzuzeichnen scheint, kann es trotz allen neu gewonnenen Vorteilen also durchaus noch in eine etwas trübere, konfliktreichere Richtung verschlagen. Aber ich setze jetzt mal einen Schritt vor den anderen. Mehr als auf mich zukommen lassen werde ich die neuerworbene Situation ohnehin nicht können. Ich versuche trotz allen potentiellen 'Worst Case' - Szenarien, die sich unweigerlich von Zeit zu Zeit in meinem Kopf ausmalen, meinen Blick der entgegenkommenenden Zeit gegenüber optimistisch zu wahren. Mir in die Karten spielt hierbei zudem, dass das durchschnittliche Alter der Neuzugänge nach Vimukti sich um einiges geringer halten wird als das bei dem noch aktuellen Camp. Der Leiter von Vimukti meinte zudem, dass bei den Jugendlichen die neu dazukommen diesmal weniger schwierigere Fälle dabei sein werden. Von solchen Worten fühlt man sich natürlich erleichtert. Aber wie es dann auch kommen mag, für die nächste Zeit konzentriere ich mich mal voll und ganz auf meine neue Situation im Boys Shelter. Wie schon letzte Woche davon erzählt, werde ich die Zeit (welche sich nun doch über einen mir unbekannten Rahmen strecken wird), bis das neue Camp in Vimukti anfängt, im Boys Shelter verbringen, um die neuen Burschen die nach Vimukti kommen werden, kennen zu lernen.

Nun möchte ich noch ein bisschen auf die bereits erwähnte lange Woche eingehen. Beim Cricket habe ich die Woche, meiner Meinung nach, erstmalig begonnen zunehmend Fortschritte zu machen. Nachdem ich mich als sogenannter 'Catcher' auf einer bestimmten Position als recht fangsicher behauptet habe, durfte ich jetzt die ganze Woche als dieser, auf dieser spielen. Den Ball werfen durfte ich aber, trotz Wurftrainings mit Bullok und Konrad, im Match noch immer nicht. Aber zumindest das sogenannte 'Batting', also das Schlagen des Balles mit dem 'Cricket Bat' durfte ich von Zeit zu Zeit. Was die Cricket Regeln betrifft, so kann ich, bei eventueller Nachfrage, nach wie vor mit nur sehr vagen Erklärungen dienen. Aber zum Glück kann man aus der Situation des 'Catchers', die ich zu 99% der Zeit in einem Cricket Match inne hatte, auch nicht viel falsch machen. Als interessanter Zwischenfall entpuppte sich in einem Match Donnerstag Abend, dass direkt vor den Toren Vimuktis ein Hahnenkampf stattfand. Warum ausgerechnet direkt vor den Toren Vimuktis sollte mir ein Rätsel bleiben. Die Männer haben sich sehr dicht um die Hähne herumgestellt und den Kreis, während der Kämpfe, immer enger geschlossen. Um die Hähne zusätzlich wild zu machen, wird ihnen kurz zuvor noch leicht in den Fuß geschnitten. Die Spuren des Kampfes waren noch Stunden danach deutlich zu sehen - überall lagen Federn. Am nächsten Tag folgte wieder ein Hahnenkampf. Fotos dazu werde ich, sobald ich dazu Zeit habe, auch auf den Blog stellen. Und wenn wir schon beim Thema Tiere sind: Dienstag und Donnerstag Abend gab es Froschschenkel als Abendessen. Das war auch mal eine Erfahrung der anderen Sorte, unter Anderem weil man ein paar Stunden zuvor die Burschen noch beobachten konnte, wie sie mit den Fröschen 'gespielt' haben. Und wenn ich 'spielen' sage, dann meine ich, was in unserer westlichen Welt eher als quälen bezeichnet werden würde. Die Burschen haben die Frösche auch eigenhändig getötet und zubereitet. Bis auf den Tötungsvorgang habe ich auch hiervon reichlich Fotos geschossen. Brutal finde ich auch die Geschichte von einem Hund, der vor ein paar Wochen, also noch bevor ich in Vimukti war, ein Huhn gerissen hatte und daraufhin von einem der Burschen auf einem Baum aufgehängt wurde. Quasi wie im Mittelalter Diebe und Verbrecher bestraft wurden. Leidenschaftliche Tierfreunde würden es in Vimukti sicher auf ihre Grenzen des Ertragbaren stoßen. Aber wer weiß, vielleicht wird mit den neuen Jugendlichen die Stimmung in Vimukti allgemein ein wenig 'tierfreundlicher'. Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zum Abschlußtag Samstag verlieren. Ausgerechnet an diesem Tag sollte ich das erste Mal mit wirklich schwereren Magenbeschwerden, gefolgt von einem zwischenzeitlichen Fieber- und Schwindelanfall, das Bett hüten müssen. Zumindest am Abend habe ich mich dann, zumindest für eine kurze Zeit, mal aus dem Zimmer gewagt um das riesige Lagerfeuer vom Balkon aus zu bewundern. Dem später folgenden Abendessen und dem nachfolgenden Getanze habe ich sogar länger beiwohnen können, als wahrscheinliche Folge der zuvor konsumierten Tabletten. Heute geht es mir körperlich eigentlich ganz gut soweit, was aber wohl auch eher auf die vor ein paar Stunden eingenommenen Tabletten zurückzuführen ist.

Soweit zu meiner verlängerten Woche in Vimukti. Ich bin jetzt schon sehr gespannt auf die kommende Woche im Boys Shelter von der ich kommenden Sonntag wieder berichten werde. Ich hoffe euch in der Heimat geht es allen gut, vermisse euch schon sehr.
Liebe Grüße aus Indien

Konstantin

Ps: Mein Vater meinte ich sollte am Ende meiner Blog - Einträge nun künftig immer meine E - Mail Adresse anführen, da das direkte kommentieren zu den Blogs scheinbar nur bei angemeldeten Blogspot Usern möglich ist, hier also meine E - Mail Adresse:
lp_4_eva@gmx.at

2 Kommentare:

  1. Hi Konsti,

    sodala, jetzt war ich schon länger nicht mehr auf deinem Blog und musste mal erst alles nachlesen.

    Finde es echt leiwand, dass du alles so ausführlich beschreibst und auch soviel aus deiner Gefühlswelt preisgibst. Da kann man sich einigermaßen vorstellen was du dort durchleben darfst / musst.

    Die Inder scheinen ein lustiges Völkchen zu sein. In einer Predigt hab ich schon mal gehört (ich glaube es war Allen Vincent), dass einem die Inder einfach irgendwas sagen, nur damit du glücklich bist, auch wenn du dann hunderte Meter in die falsche Richtung läufst. Hab das damals schon nicht fassen können, und deine Stories über Wegbeschreibungen und es gut meinende Rikschafahrer versetzen mich wieder in staunen über diese kulturelle Eigenart.

    Bin schon gespannt, was da noch alles von dir kommt - wünsch Dir gute Besserung und natürlich, dass beim 2. Camp sich die Dinge so entwickeln wie du dir das vorstellst.

    Make it good,
    Ronny

    P.S. Also ich bin angemeldet und kann trotzdem kommentieren...

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  2. Korrektur: ich meinte natürlich ich bin NICHT angemeldet und kann trotzdem kommentieren...

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