Sonntag, 29. Juli 2012

Ein ungewöhnlicher Monat


Sonntag. 29. Juli. Es gibt viel zu erzählen. Der Monat Juli ist ein einziges Loch in meinem Blog. Dieser Umstand hängt natürlich auch mit meinem Urlaub Anfang bis Mitte Juli zusammen. Wobei Urlaub irgendwie nicht ganz das richtige Wort für die Zeit meiner Abwesenheit ist. Von meinen insgesamt 3 Urlauben konnte man eigentlich nur die Zeit in Kerala mit meiner Familie als wirklich erholsamen Urlaub bezeichnen; nach meiner Himalaya Reise zum Beispiel war ich noch erledigter als vor Reiseantritt. Warum aber kann man jetzt meine dritte Reise wieder nicht als Urlaub bezeichnen, und was genau habe ich eigentlich während meiner Abwesenheit gemacht? Die zweite Frage stellt sich nun zwei Arten von Personen: Einerseits denen, welche meinen letzten Blogeintrag nicht gelesen haben (in welchem ich mein Reisevorhaben geschildert habe), und andererseits denen, welche ihn zwar gelesen haben, sich aber fragen, ob meine Reise, so wie ich sie mir vorgestellt habe, auch wirklich stattgefunden hat, beziehungsweise einfach neugierig sind, wie es so war.

Also. Zunächst mal ein grober Überblick meiner Reise: von 4. bis 15. Juli lernte ich in dem Meditationskurs von Nagarjuna Sagar die Philosophie und Kunst des Vipassana kennen (meiner Zeit dort werde ich in meinem heutigen Eintrag die meiste Aufmerksamkeit schenken). Nach dem 15. Juli verbrachte ich ein paar Tage in der 6 Millionen Einwohner Stadt Hyderabad, um mir ein wenig die Stadt anzuschauen bzw. um -in Hinblick auf meine Heimreise in gut 3 Wochen- Andenken an Indien zu besorgen. Freundlicher Weise durfte ich während meines Aufenthalts in Hyderabad in einem der Projekte von Navajeevan, in Ramanthapur, übernachten. Obwohl ich unter Tags meist in der Stadt unterwegs war, hatte ich eine super Zeit in Ramanthapur, was nicht zuletzt an den Kindern, bzw. an den beiden Volontären aus Deutschland, Larissa und Tobias lag. Neben Larissa und Tobias traf ich auch meine Jugend Eine Welt Kollegin Theresa und ihren Freund Peter, welche mir ein wenig die Stadt zeigten. Was gibt es von Hyderabad noch so zu erzählen … *grübel*. Naja, also wie schon gesagt habe ich hauptsächlich Andenken für Österreich gekauft, mir ein paar Sehenswürdigkeiten angeschaut, und ausgezeichnet gespeist. Ach da fällt mir ein; ein nettes herausstechendes Ereignis in Hyderabad war der Abend meiner Ankunft, an welchem nämlich das große Telangana Fest ‚Bongalu‘ gefeiert wurde – überall auf der Straße wurde von unzähligen Trommlern nach Kräften Lärm gemacht, die Frauen transportierten auf ihren Köpfen Behälter mit Reis um sie vor ihrem jeweiligen Gott in dem jeweiligen Tempel auszuleeren und Räucherstäbchen reinzustecken. Natürlich wurde auch ausgelassen getanzt. Larissa, Tobias und ich waren an jenem Abend mit ein paar Burschen aus Ramanthapur in der Stadt unterwegs, um das Geschehen in den Tempeln zu verfolgen. Natürlich wurden wir später auch aufgefordert zu tanzen. Mitten auf der Straße, umkreist von einer Schar Trommlern und verrückt-ausgelassenen Einheimischen, bei strömenden Regen herumzutanzen ist ein Erlebnis, das man so wohl wirklich nur in Indien findet. Worin sich mein Urlaub allerdings wesentlich von jenem eines üblichen Touristen unterschied, war mein vorangegangener Meditationskurs, auf welchen ich nun eingehen möchte.

Am 4. Juli fuhr ich in der Früh mit dem Bus zu dem Gebiet Nagarjuna Sagar, an dem größten Stausee Indiens gelegen. Dort angekommen, gelangte ich ohne weitere Komplikationen zu der Vipassana Meditationsanlage. 11 Tage würde ich nun mit etwa 20 anderen Kursteilnehmern an diesem Ort sein, und außer meditieren, vegetarisch essen und schlafen nichts tun. Darauf hatte ich mich schon eingestellt. Eine gewisse Nervosität war dennoch nicht ganz los zu bekommen. Kein lesen, kein schreiben, kein reden, keine Geräuschverursachung, keine körperliche Ertüchtigung. Nicht einmal jemandem in die Augen zu blicken war erlaubt. In den ersten Tagen ging es mir nicht sehr gut, und das ist ganz einfach darauf zurückzuführen, dass ich in diesen krank war. Ich war verkühlt und hatte Schwierigkeiten mit meinem Magen. Die Lehrer rieten mir immer wieder mich einfach nur auf meine Atmung durch die Nase zu konzentrieren, und alles andere auszublenden; aber was tun wenn die Nase verstopft ist? Durch den Mund zu atmen ist nicht erlaubt. Tja. Zum Glück ging die Verkühlung mit der Zeit zurück und das Atmen durch die Nase, sowie mich darauf konzentrieren zu können, gelang mir zunehmend besser. Und je besser ich mich konzentrieren konnte, umso erschöpfter war ich nach den jeweiligen Sitzungen. Man sollte echt nicht unterschätzen wie anstrengend es sein kann sich für eine Stunde zum Beispiel auf seine Atmung zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Mein Tag begann übrigens schon um 4 Uhr in der Früh mit einer Meditationssitzung, an der ich allerdings krankheitsbedingt nicht immer teilnehmen konnte. Dann gab es Frühstück und eine Stunde Pause. Dann wurde wieder bis zum Mittagessen meditiert. Mit dem Mittagessen ging wieder eine Stunde Pause einher. Danach wurde bis zum Abendtee meditiert, welchem ebenfalls wieder eine kurze Pause anhing. Nach dem Abendtee gab es zwar eine weitere Meditationssitzung, jedoch hatten wir am Abend für eine Stunde tatsächlich auch einen anderen Programmpunkt als Meditation; nämlich den sogenannten Discourse. Im Discourse lauschten wir in einer Videoaufzeichnung der Lehre des Vipassana von Goenka, jenen Mannes, der die Lehre in Indien und der ganzen Welt verbreitete. Ich würde diese Stunde, in welcher wir jeden Abend Herrn Goenka reden hörten, mehr als eine Philosophie Stunde bezeichnen. Ich möchte an der Stelle nun von der Oberfläche abkommen und ein wenig in die Lehre eintauchen, damit ihr einen besseren Eindruck von meiner Zeit dort gewinnt. In meinem letzten Blogeintrag vor einem Monat, bin ich zwar schon ein wenig auf die Lehre eingegangen, jedoch war das, was ich damals geschrieben habe, eine intellektuelle Vorstellung und Beschreibung einer Kunst, die nur durch das Erleben eben dieser verstanden werden kann. Einen wesentlichen Punkt der Vipassana Lehre habe ich eigentlich soeben vermittelt; nämlich die Lehre des empirischen Verständnisses – das Verstehen auf Basis der Erfahrung, aber niemals auf Basis des intellektuellen, des rationalen Verstehens. Der Mensch kann sich Dinge vorstellen, Gedanken machen; er kann Informationen sammeln, Weisheit suchen. Aber findet er dadurch auch Verständnis? Wer meinen letzten Blog gelesen hat, konnte feststellen, dass ich so Sachen geschrieben habe wie: ‚Was ich während dem Meditationskurs tun werde? Nicht nachdenken, nicht planen, mich nicht ablenken lassen,… blablabla‘. Hatte das letztendlich was mit der Realität zu tun? Nein. Wie denn auch? Ich habe mir idealistische Vorstellungen einer Zeit gemacht, die so niemals stattfinden könnte. Man stelle sich vor: Nach 20 Jahren taucht man aus der Welt des allgegenwärtigen Konsums, der Ablenkung, des Materialismus für 11 Tage in eine Welt der vollkommenen Ruhe, der simplen Geradlinigkeit ein. Noch nie wurde ich mit Gedanken und damit einhergehenden Ablenkungen derart überschwemmt. Noch nie zuvor realisierte ich mit einer derartigen Klarheit, wie mich meine Welt beeinflusst. Meine Gedanken, mein Verhalten, meine Gefühle. Worauf ich hinaus will: Wer auch immer diesen Text liest, versteht vielleicht was ich meine, doch wirklich tiefe Einsicht kann man daraus nicht gewinnen, da Verständnis nicht auf intellektueller Basis stattfinden kann. Und damit komme ich jetzt zu dem Kern der Lehre: das Verständnis der ewigen, universellen Vergänglichkeit. Alles, außer Gott, ist vergänglich. Und genau darum ging es in meinem Kurs. Das zu verstehen. Es gibt 2 Faktoren im Wesen eines jeden Menschen, die dazu führen, dass er leidet. Nämlich Habgier und Ablehnung. Entweder ist eine Situation -oder was auch immer- so schön, dass man mehr davon haben will und unglücklich ist, wenn man nicht mehr davon bekommt, oder eine Situation -oder was auch immer- löst Ärger, Verbitterung und Ablehnung in einem Menschen aus. Und nun nimmt das Gesetz der Vergänglichkeit eine elementare Rolle ein. Der Mensch begehrt oder lehnt etwas ab, löst damit Leid in ihm aus, OBWOHL die Sache, die er begehrt oder ablehnt, ohnehin von gezwungener Vergänglichkeit ist. Wozu leiden wegen einer Sache die überhaupt keinen Bestand hat? Wenn jemand einen Fluss überquert, und ihn eine halbe Stunde später, auf dem Rückweg, an derselben Stelle nochmal überquert, dann wird es so scheinen, als ob auch wieder genau derselbe Fluß überquert werden würde; doch in Wirklichkeit ist das Wasser, welches vor einer halben Stunde an der Stelle überquert wurde, schon weit flussabwärts geströmt. Und das ist die Meditationstechnik des Vipassana: Sich auf seine Sinneswahrnehmungen zu konzentrieren, und jede, ob angenehm oder unangenehm, oberflächlich zu beobachten. Angenehme Sinneswahrnehmungen werden nicht begehrt, unangenehme nicht abgelehnt. Es wird nur beobachtet, nur bemerkt. Von Kopf bis Fuß wandert die völlige Konzentration von einer Körperstelle zur nächsten, und man wartet, bis eine Sinneswahrnehmung eintritt. Ruhiges, gleichmäßiges Atmen durch die Nase. Auch Sinneswahrnehmungen kommen und gehen, sind vergänglich. Genauso wie jeder Moment und jede Situation des Lebens sind sie ohne Bestand und völlig einzigartig.
Abschließend noch ein wichtiger Punkt der Lehre: Das Loslösen vom Ich. Der Mensch geht immer vom Ich aus. ‚Ich brauche‘, ‚Ich möchte‘, ‚Ich will‘,… doch das, was das Ich begehrt, bringt immer nur eine Befriedigung für den Moment. Es hat weder Bestand noch Sinn für sich selbst zu leben. Der Mensch lebt für den Menschen. Das ist im Großen und Ganzen die Lehre des Vipassana, auch wenn sich darüber noch viel mehr sagen lassen würde.

Obwohl ich wirklich froh bin, diesen Kurs besucht zu haben, möchte ich an der Stelle noch einmal betonen, dass ich mir speziell am Anfang sehr schwer getan habe. Nicht nur weil ich krank war. Man kann sich nicht vorstellen wie viel mir beim meditieren durch den Kopf gegangen ist und wie schlimm es war, außer dem meditieren NICHTS tun zu können. Da liegt man im Bett, schaut seufzend den Vögeln zu und träumt vor sich. Erst nach ein paar Tagen habe ich verstanden wie wertvoll die Zeit an diesem Ort ist, und dass es nichts als Vergeudung des Moments ist, einer Zeit -meiner Rückkehr- entgegenzusehnen, da auch diese nur ein vergängliches Erlebnis von vielen sein wird. Ich denke jetzt besser verstehen zu können, was es heißt, den Moment zu leben und auszukosten. Es macht das Leben einfach viel lebenswerter.

Ein bisschen mehr als 3 Wochen sind es noch bis zu meiner bereits erwähnten Rückkehr. Ich weiß nicht wie oft ich noch die Zeit finden werde einen Blog zu schreiben. Aber Zeit, um über den Abschied von meinen alten Vimukti Burschen (welche ich in ihren Ausbildungszentren, Bridge Schools usw. besuchen werde) zu schreiben, werde ich bestimmt noch finden. Beziehungsweise eine Zusammenfassung, ein Resümee meines Einsatzes werde ich spätestens in Österreich verfassen.

Bis also nächsten oder übernächsten Sonntag!


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