Sonntag. 29. Juli. Es gibt
viel zu erzählen. Der Monat Juli ist ein einziges Loch in meinem
Blog. Dieser Umstand hängt natürlich auch mit meinem Urlaub Anfang
bis Mitte Juli zusammen. Wobei Urlaub irgendwie nicht ganz das
richtige Wort für die Zeit meiner Abwesenheit ist. Von meinen
insgesamt 3 Urlauben konnte man eigentlich nur die Zeit in Kerala mit
meiner Familie als wirklich erholsamen Urlaub bezeichnen; nach meiner
Himalaya Reise zum Beispiel war ich noch erledigter als vor
Reiseantritt. Warum aber kann man jetzt meine dritte Reise wieder
nicht als Urlaub bezeichnen, und was genau habe ich eigentlich
während meiner Abwesenheit gemacht? Die zweite Frage stellt sich nun
zwei Arten von Personen: Einerseits denen, welche meinen letzten
Blogeintrag nicht gelesen haben (in welchem ich mein Reisevorhaben
geschildert habe), und andererseits denen, welche ihn zwar gelesen
haben, sich aber fragen, ob meine Reise, so wie ich sie mir
vorgestellt habe, auch wirklich stattgefunden hat, beziehungsweise
einfach neugierig sind, wie es so war.
Also. Zunächst mal ein
grober Überblick meiner Reise: von 4. bis 15. Juli lernte ich in dem
Meditationskurs von Nagarjuna Sagar die Philosophie und Kunst des
Vipassana kennen (meiner Zeit dort werde ich in meinem heutigen
Eintrag die meiste Aufmerksamkeit schenken). Nach dem 15. Juli
verbrachte ich ein paar Tage in der 6 Millionen Einwohner Stadt
Hyderabad, um mir ein wenig die Stadt anzuschauen bzw. um -in
Hinblick auf meine Heimreise in gut 3 Wochen- Andenken an Indien zu
besorgen. Freundlicher Weise durfte ich während meines Aufenthalts
in Hyderabad in einem der Projekte von Navajeevan, in Ramanthapur,
übernachten. Obwohl ich unter Tags meist in der Stadt unterwegs war,
hatte ich eine super Zeit in Ramanthapur, was nicht zuletzt an den
Kindern, bzw. an den beiden Volontären aus Deutschland, Larissa und
Tobias lag. Neben Larissa und Tobias traf ich auch meine Jugend Eine
Welt Kollegin Theresa und ihren Freund Peter, welche mir ein wenig
die Stadt zeigten. Was gibt es von Hyderabad noch so zu erzählen …
*grübel*. Naja, also wie schon gesagt habe ich hauptsächlich
Andenken für Österreich gekauft, mir ein paar Sehenswürdigkeiten
angeschaut, und ausgezeichnet gespeist. Ach da fällt mir ein; ein
nettes herausstechendes Ereignis in Hyderabad war der Abend meiner
Ankunft, an welchem nämlich das große Telangana Fest ‚Bongalu‘
gefeiert wurde – überall auf der Straße wurde von unzähligen
Trommlern nach Kräften Lärm gemacht, die Frauen transportierten auf
ihren Köpfen Behälter mit Reis um sie vor ihrem jeweiligen Gott in
dem jeweiligen Tempel auszuleeren und Räucherstäbchen
reinzustecken. Natürlich wurde auch ausgelassen getanzt. Larissa,
Tobias und ich waren an jenem Abend mit ein paar Burschen aus
Ramanthapur in der Stadt unterwegs, um das Geschehen in den Tempeln
zu verfolgen. Natürlich wurden wir später auch aufgefordert zu
tanzen. Mitten auf der Straße, umkreist von einer Schar Trommlern
und verrückt-ausgelassenen Einheimischen, bei strömenden Regen
herumzutanzen ist ein Erlebnis, das man so wohl wirklich nur in
Indien findet. Worin sich mein Urlaub allerdings wesentlich von jenem
eines üblichen Touristen unterschied, war mein vorangegangener
Meditationskurs, auf welchen ich nun eingehen möchte.
Am
4. Juli fuhr ich in der Früh mit dem Bus zu dem Gebiet Nagarjuna
Sagar, an dem größten Stausee Indiens gelegen. Dort angekommen,
gelangte ich ohne weitere Komplikationen zu der Vipassana
Meditationsanlage. 11 Tage würde ich nun mit etwa 20 anderen
Kursteilnehmern an diesem Ort sein, und außer meditieren,
vegetarisch essen und schlafen nichts tun. Darauf hatte ich mich
schon eingestellt. Eine gewisse Nervosität war dennoch nicht ganz
los zu bekommen. Kein lesen, kein schreiben, kein reden, keine
Geräuschverursachung, keine körperliche Ertüchtigung. Nicht einmal
jemandem in die Augen zu blicken war erlaubt. In den ersten Tagen
ging es mir nicht sehr gut, und das ist ganz einfach darauf
zurückzuführen, dass ich in diesen krank war. Ich war verkühlt und
hatte Schwierigkeiten mit meinem Magen. Die Lehrer rieten mir immer
wieder mich einfach nur auf meine Atmung durch die Nase zu
konzentrieren, und alles andere auszublenden; aber was tun wenn die
Nase verstopft ist? Durch den Mund zu atmen ist nicht erlaubt. Tja.
Zum Glück ging die Verkühlung mit der Zeit zurück und das Atmen
durch die Nase, sowie mich darauf konzentrieren zu können, gelang
mir zunehmend besser. Und je besser ich mich konzentrieren konnte,
umso erschöpfter war ich nach den jeweiligen Sitzungen. Man sollte
echt nicht unterschätzen wie anstrengend es sein kann sich für eine
Stunde zum Beispiel auf seine Atmung zu konzentrieren und alles
andere auszublenden. Mein Tag begann übrigens schon um 4 Uhr in der
Früh mit einer Meditationssitzung, an der ich allerdings
krankheitsbedingt nicht immer teilnehmen konnte. Dann gab es
Frühstück und eine Stunde Pause. Dann wurde wieder bis zum
Mittagessen meditiert. Mit dem Mittagessen ging wieder eine Stunde
Pause einher. Danach wurde bis zum Abendtee meditiert, welchem
ebenfalls wieder eine kurze Pause anhing. Nach dem Abendtee gab es
zwar eine weitere Meditationssitzung, jedoch hatten wir am Abend für
eine Stunde tatsächlich auch einen anderen Programmpunkt als
Meditation; nämlich den sogenannten Discourse. Im Discourse
lauschten wir in einer Videoaufzeichnung der Lehre des Vipassana von
Goenka, jenen Mannes, der die Lehre in Indien und der ganzen Welt
verbreitete. Ich würde diese Stunde, in welcher wir jeden Abend
Herrn Goenka reden hörten, mehr als eine Philosophie Stunde
bezeichnen. Ich möchte an der Stelle nun von der Oberfläche
abkommen und ein wenig in die Lehre eintauchen, damit ihr einen
besseren Eindruck von meiner Zeit dort gewinnt. In meinem letzten
Blogeintrag vor einem Monat, bin ich zwar schon ein wenig auf die
Lehre eingegangen, jedoch war das, was ich damals geschrieben habe,
eine intellektuelle Vorstellung und Beschreibung einer Kunst, die nur
durch das Erleben eben dieser verstanden werden kann. Einen
wesentlichen Punkt der Vipassana Lehre habe ich eigentlich soeben
vermittelt; nämlich die Lehre des empirischen Verständnisses –
das Verstehen auf Basis der Erfahrung, aber niemals auf Basis des
intellektuellen, des rationalen Verstehens. Der Mensch kann sich
Dinge vorstellen, Gedanken machen; er kann Informationen sammeln,
Weisheit suchen. Aber findet er dadurch auch Verständnis? Wer meinen
letzten Blog gelesen hat, konnte feststellen, dass ich so Sachen
geschrieben habe wie: ‚Was ich während dem Meditationskurs tun
werde? Nicht nachdenken, nicht planen, mich nicht ablenken lassen,…
blablabla‘. Hatte das letztendlich was mit der Realität zu tun?
Nein. Wie denn auch? Ich habe mir idealistische Vorstellungen einer
Zeit gemacht, die so niemals stattfinden könnte. Man stelle sich
vor: Nach 20 Jahren taucht man aus der Welt des allgegenwärtigen
Konsums, der Ablenkung, des Materialismus für 11 Tage in eine Welt
der vollkommenen Ruhe, der simplen Geradlinigkeit ein. Noch nie wurde
ich mit Gedanken und damit einhergehenden Ablenkungen derart
überschwemmt. Noch nie zuvor realisierte ich mit einer derartigen
Klarheit, wie mich meine Welt beeinflusst. Meine Gedanken, mein
Verhalten, meine Gefühle. Worauf ich hinaus will: Wer auch immer
diesen Text liest, versteht vielleicht was ich meine, doch wirklich
tiefe Einsicht kann man daraus nicht gewinnen, da Verständnis nicht
auf intellektueller Basis stattfinden kann. Und damit komme ich jetzt
zu dem Kern der Lehre: das Verständnis der ewigen, universellen
Vergänglichkeit. Alles, außer Gott, ist vergänglich. Und genau
darum ging es in meinem Kurs. Das zu verstehen. Es gibt 2 Faktoren im
Wesen eines jeden Menschen, die dazu führen, dass er leidet. Nämlich
Habgier und Ablehnung. Entweder ist eine Situation -oder was auch
immer- so schön, dass man mehr davon haben will und unglücklich
ist, wenn man nicht mehr davon bekommt, oder eine Situation -oder was
auch immer- löst Ärger, Verbitterung und Ablehnung in einem
Menschen aus. Und nun nimmt das Gesetz der Vergänglichkeit eine
elementare Rolle ein. Der Mensch begehrt oder lehnt etwas ab, löst
damit Leid in ihm aus, OBWOHL die Sache, die er begehrt oder ablehnt,
ohnehin von gezwungener Vergänglichkeit ist. Wozu leiden wegen einer
Sache die überhaupt keinen Bestand hat? Wenn jemand einen Fluss
überquert, und ihn eine halbe Stunde später, auf dem Rückweg, an
derselben Stelle nochmal überquert, dann wird es so scheinen, als ob
auch wieder genau derselbe Fluß überquert werden würde; doch in
Wirklichkeit ist das Wasser, welches vor einer halben Stunde an der
Stelle überquert wurde, schon weit flussabwärts geströmt. Und das
ist die Meditationstechnik des Vipassana: Sich auf seine
Sinneswahrnehmungen zu konzentrieren, und jede, ob angenehm oder
unangenehm, oberflächlich zu beobachten. Angenehme
Sinneswahrnehmungen werden nicht begehrt, unangenehme nicht
abgelehnt. Es wird nur beobachtet, nur bemerkt. Von Kopf bis Fuß
wandert die völlige Konzentration von einer Körperstelle zur
nächsten, und man wartet, bis eine Sinneswahrnehmung eintritt.
Ruhiges, gleichmäßiges Atmen durch die Nase. Auch
Sinneswahrnehmungen kommen und gehen, sind vergänglich. Genauso wie
jeder Moment und jede Situation des Lebens sind sie ohne Bestand und
völlig einzigartig.
Abschließend noch ein
wichtiger Punkt der Lehre: Das Loslösen vom Ich. Der Mensch geht
immer vom Ich aus. ‚Ich brauche‘, ‚Ich möchte‘, ‚Ich
will‘,… doch das, was das Ich begehrt, bringt immer nur eine
Befriedigung für den Moment. Es hat weder Bestand noch Sinn für
sich selbst zu leben. Der Mensch lebt für den Menschen. Das ist im
Großen und Ganzen die Lehre des Vipassana, auch wenn sich darüber
noch viel mehr sagen lassen würde.
Obwohl ich wirklich froh
bin, diesen Kurs besucht zu haben, möchte ich an der Stelle noch
einmal betonen, dass ich mir speziell am Anfang sehr schwer getan
habe. Nicht nur weil ich krank war. Man kann sich nicht vorstellen
wie viel mir beim meditieren durch den Kopf gegangen ist und wie
schlimm es war, außer dem meditieren NICHTS tun zu können. Da liegt
man im Bett, schaut seufzend den Vögeln zu und träumt vor sich.
Erst nach ein paar Tagen habe ich verstanden wie wertvoll die Zeit an
diesem Ort ist, und dass es nichts als Vergeudung des Moments ist,
einer Zeit -meiner Rückkehr- entgegenzusehnen, da auch diese nur ein
vergängliches Erlebnis von vielen sein wird. Ich denke jetzt besser
verstehen zu können, was es heißt, den Moment zu leben und
auszukosten. Es macht das Leben einfach viel lebenswerter.
Ein bisschen mehr als 3
Wochen sind es noch bis zu meiner bereits erwähnten Rückkehr. Ich
weiß nicht wie oft ich noch die Zeit finden werde einen Blog zu
schreiben. Aber Zeit, um über den Abschied von meinen alten Vimukti
Burschen (welche ich in ihren Ausbildungszentren, Bridge Schools usw.
besuchen werde) zu schreiben, werde ich bestimmt noch finden.
Beziehungsweise eine Zusammenfassung, ein Resümee meines Einsatzes
werde ich spätestens in Österreich verfassen.
Bis also nächsten oder
übernächsten Sonntag!
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