Es ist interessanter Weise immer wieder
ein bisschen eine Überwindung, sich zum Blog Schreiben zu motivieren
(selbst noch nach 10 Monaten); aber sobald man sich überwunden hat,
fliesst alles wie von selbst. Gedanken in Formen festzuhalten stellt
eine äußerst befreiende Variante der Gedankenentleerung dar. Das
erfahre ich jedes Mal aufs Neue, wenn ich mich dazu durchgerungen
habe, einen Blogeintrag zu schreiben, und jedes Mal aufs Neue bin ich
auch wirklich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Dennoch
muss ich hier leider verkünden, dass dies mein letzter Blogeintrag
für die zumindest nächsten beiden Sonntage sein wird. Ab Mittwoch
ist es nämlich endlich soweit – dann beginnt mein 11 täger
Meditationskurs in Nagarjuna Sagar, einer kleinen entlegenen
Ortschaft etwa 150 km südöstlich Hyderabads (der Hauptstadt von
Andhra Pradesh), welche übrigens an dem größten Stausee Indiens
liegt. Nach diesen 11 Tagen werde ich noch 3 Tage in Hyderabad
verbringen um mir endlich einmal in Ruhe die Stadt und die Projekte
von Navajeevan (ja Navajeevan hat auch dort einen Standort)
anzuschauen. Ich war zwar jetzt schon 2 Mal in Hyderabad, jedoch
waren diese 2 Mal immer nur Kurzbesuche in welchen längere
Sightseeing Touren leider nicht möglich waren. Nun, über Hyderabad
wollte ich heute aber eigentlich gar nicht schreiben, ihr sollt nur
wissen, dass ich von 4. bis 18. Juli nicht erreichbar sein werde.
Worüber ich eigentlich schreiben will,
ist mein bevorstehender Meditationskurs. Manche von euch fragen sich
vielleicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, meine letzten
Urlaubstage für einen Meditationskurs aufzubrauchen, bzw. was genau
ich dort überhaupt machen werde. Gleich zu Beginn möchte ich -wie
bereits in meinem letzten Blogeintrag erwähnt- auf die Homepage des
Kursanbieters hinweisen (www.dhamma.org),
auf welcher viele interessante Artikel zu finden sind (der englischen
Sprache sollte man dafür halbwegs mächtig sein).
Mein Hauptbeweggrund für diesen
Meditationskurs war der Gedanke an meine Rückkehr nach Österreich
in nicht einmal mehr 2 Monaten, und wie nach meinem Jahr in Indien
alles weitergehen wird. Es liegt eigentlich auf der Hand, wie es
weitergehen wird: Studieren, Arbeiten, Studieren, Arbeiten,
Studieren, Arbeiten. Ich fürchte es wird nach meiner Rückkehr nicht
lange dauern, bis ich wieder einem gewissen Trott verfallen sein
werde. Nicht falsch verstehen, ich freue mich schon darauf zu
studieren, jedoch ist es nun einmal eine Tatsache, dass mit der alles
in Anspruch nehmenden Herausforderung des Studierens bzw. der Mühsal
eines zusätzlichen kräfte-, zeit- und nervenraubenden Nebenjobs,
der Blick auf das eigentlich Wesentliche im Leben in Gefahr läuft,
verloren zu gehen. Was ist das Wesentliche? Was das Wesentliche im
Leben eines Menschen ist, muss wohl jeder für sich selbst
definieren, für mich wäre es wohl einerseits Glaube, Familie,
Freunde, wie andererseits auch einfach Ich sein zu dürfen, das Leben
zu leben und es in all seiner Vielfalt (andere Menschen, andere
Philosophien, andere Kulturen,...) entfalten und auf sich wirken zu
lassen, und dadurch kennen zu lernen. Klar, Ausbildung ist wichtig,
das möchte ich hiermit überhaupt nicht in Frage stellen, aber das,
was unsere Gesellschaft mit ihrer unaufhörlichen Forderung nach
Leistung heute zu sagen scheint, ist, dass Ausbildung und Arbeit im
Leben eines Menschen das Einzige ist, dem es die volle Konzentration
bzw. die oberste Priorität zu schenken gilt. Nun, inwiefern hat das
jetzt mit meinem Meditationskurs zu tun? Zum einen geht es natürlich
um das Kennenlernen von etwas Neuem bzw. um die extraordinäre
Erfahrung die mir bevorsteht und auf die ich schon sehr gespannt bin.
Jedoch mache ich hier auch so, wenn ich zu meiner Arbeit mit
Straßenkindern gehe, außergewöhnliche Erfahrungen, lerne nach wie
vor ständig Neues kennen. Allein Indien zu besuchen, wenn auch nur
für kurze Zeit, ist bereits ein einprägendes Erlebnis. Im
Wesentlichen hat meine vorherige philosophische Abhandlung über das
Problem des heutigen gesellschaftlichen Leistunsprinzips mit dem
Meditationskurs damit zu tun, dass ich davon überzeugt bin, während
dieses Kurses etwas kennenzulernen, dass viele Menschen -speziell in
unserer westlichen Welt-, jeden Tag aufs Neue aufgrund der einen
vereinnehmenden Arbeit oder aufgrund alltäglicher Sorgen um Geld,
Miete etc. oder sei es aufgrund des allgegenwärtigen Konsums der in
unserer Gedankenwelt unbewusst eine immer wichtigere Rolle spielt und
einem heutzutage beinahe schon aufgewzungen wird, vermissen: das
schlichte Mensch sein. Das schlichte, unbekümmerte Ich sein.
Und damit komme ich auch gleich zu dem,
was ich während meines Kurses machen werde: Nicht nachdenken. Mich
nicht ablenken lassen. Mich nicht beeinflussen lassen. Mich nicht
sorgen. Nicht planen. Sondern einfach Ich sein. Vollständige Ruhe
erleben, kennen lernen, entfalten lassen. Meinen Fokus auf mich legen
und den Raum mit leerer Zeit füllen. Während diesen 11 Tagen werde
ich die Philosophie des Vipassana kennenlernen, welche dem Menschen
dabei helfen soll, Ruhe und Gelassenheit im Alltag zu entwickeln,
bzw. Schmerz und Unruhe in der Seele verrauchen zu lassen. Bei
Vipassana handelt es sich nicht um eine religiöse Praktizierung,
sondern um eine überkonfessionelle, rein physische Übung! Der
Körper ist mit der Seele verbunden, das ist eine Tatsache von der
ich ebenfalls absolut überzeugt bin. Im Wesentlichen werde ich
während meines Meditationskurses üben, meinen Fokus, mit einem
geleerten, klaren Kopf, auf meinen Körper zu legen, um so zu lernen,
aufkeimenden Zorn oder Frust, mit einer gezielten körperlichen
Präventiv - Reaktion (u.a. richtiger Atemtechnik), erst
neutralisieren und anschließend verrauchen lassen zu können. Dies
alles dient dem Zweck, in schwierigen Situationen des Lebens mehr
Gelassenheit zu entwickeln und dadurch weniger Leid zu erfahren. Der
Kurs ist kostenlos, und somit für jeden Menschen, ob arm oder reich,
zugänglich. Wer will kann eine freie Spende nach dem Kurs geben.
Eigene Zimmer sowie Verpflegung wird den Teilnehmern gratis
bereitgestellt. Ins Leben gerufen wurde dieser Kurs, um dem Menschen
völlig bedinungslos dabei zu helfen, mehr Frieden und Frohsinn im
Alltag zu finden. Es nehmen Hinduisten, Buddhisten, Muslime wie auch
Christen daran teil (da es sich, wie bereits erwähnt, nur um eine
rein körperliche Übung handelt, lässt sich dieser Kurs mit jedem
Glauben vereinbaren). Die Lehre des Vipassana ist eine uralte und
lässt ihren Ursprung auf die Zeit Buddhas zurückführen; obwohl
Vipassana also überkonfessionell ausgelebt werden kann, ist sie
dennoch eine Lehre buddhistischen Fundaments. Selbst bin ich
überzeugter Christ, doch bedeutet das nicht, dass ich deshalb den
Lehren und Ideen anderer Religionen oder Philosophen nichts
abgewinnen könnte. Ganz im Gegenteil. Speziell was andere Religionen
angeht, halte ich es sogar für sehr wichtig, sich auch mit den
Philosophien dieser auseinanderzusetzen; der Islam enthält genauso
wie der Hinduismus oder Buddhismus Weisheiten und Lehren, die ich für
sehr wertvoll und interessant halte.
Obwohl ich mich schon sehr auf den Kurs
freue, bin ich dennoch Realist genug, um mir bewusst zu sein, dass
diese 11 Tage nicht nur ein entspanntes Vergnügen sein werden.
Jegliche Informationszufuhr ist untersagt (sei es durch das Lesen
eines Buches oder das Spielen mit dem Handy), mit anderen
Kursteilnehmern zu sprechen ist untersagt (außer zu einer bestimmten
Zeit mit dem Lehrer), selbst den anderen in die Augen zu blicken ist
untersagt. Man soll durch nichts abgelenkt oder gestört werden. Das
Einzige, das man während seiner freien Zeit (also wenn gerade keine
Meditations- oder Lehreinheiten auf dem Stundenplan stehen) tun kann,
ist Wäsche zu waschen oder spazieren zu gehen. Während diesen 11
Tagen werde ich also von der Welt völlig abgeschnitten sein. Und
auch für die Zeit nach dem Kurs, plane ich, zumindest für den
restlichen Monat Juli, kein Facebook mehr zu benützen. Nach meiner
Rückkehr nach Österreich werde ich vermutlich die ersten Wochen
fast nur noch von einem Termin zum nächsten jagen, daher möchte ich
die Ruhe hier noch voll und ganz auskosten.
Abschließend möchte ich jetzt noch
schnell zu meiner vergangenen Woche zu sprechen kommen. Letzte Woche
habe ich mit dem Street Presence Team am Bahnhof gearbeitet. Bei dem
Team bin ich als 'Khan' bekannt, da sie sich entschlossen hatten,
dass Konstantin wie auch Konsti zu kompliziert sei. Zusammen mit
Konstantin (so nennen mich die Fathers), Konsti Brother (so nennen
mich die Burschen in Vimukti), Chanti (so werde ich nach wie vor von
einigen Kindern im Chiguru genannt), habe ich damit jetzt also schon
4 Namen in Indien. Naja mich kümmerts eigentlich nicht weiter,
solange ich weiß wer gemeint ist. Jedenfalls war diese Woche sehr
interessant. Es ist einfach eine kaum zu beschreibende Erfahrung,
wenn man jeden Tag aufs Neue verwahrloste Kinder, die von überall
aus Indien herkommen, klammheimlich aus Güterwaggons krabbeln sieht
und Verstecke abgeht, zu welchen sich normaler Weise keiner hinbegibt
weil diese von Müllbergen umgeben sind. Die Reaktionen die man
erhält, wenn man solche Kinder anspricht, fallen sehr
unterschiedlich aus. Manche sind sehr interessiert weil sie z.B. von
der Möglichkeit zu essen erfahren. Andere wiederum bekommen panische
Angst, wenn sie angesprochen werden. Ein Kind das, so wie wir von
Freunden von ihm später erfuhren, schon ein paar Mal von Erwachsenen
vergewaltigt wurde, fing bereits an zu heulen als es sah, dass wir
auf ihn zugehen. Als wir dann trotz seines Heulanfalls weiter auf ihn
zugingen, rannte er schließlich wie verrückt davon. Bei einem
anderen Jungen erfuhren wir, dass er seit 5 Tagen nichts mehr
gegessen hatte. Als wir ihn zum Shelter gebracht hatten, kümmerte
ich mich natürlich sofort darum, dass er etwas zu Essen erhält.
Einem kleinen Kind, das seit 5 Tagen nichts mehr gegessen hat, beim
Essen zuzuschauen, ist eine Erfahrung die das Herz berührt. So
schnell werde ich diesen Anblick jedenfalls nicht mehr vergessen. Und
mir wird schlecht wenn ich daran denke, wieviel Essen wir bei uns in
Europa wegschmeissen, wenn wir keinen Hunger mehr haben. Wer von uns
könnte es jemals nachempfinden, was es bedeutet, so schmerzhaften
Hunger zu haben? Das Bild von diesem Kind, wie es mit zittrigen
Händen nach dem Reis (vermischt mit viel Wasser und Joghurt, da der
zusammengezogene Magen das Essen sonst nicht verdauen hätte können)
fasst und sich in den Mund stopft, könnte ich euch so, wie ich es
gesehen habe, niemals wirklich nachempfindbar beschreiben.
Es gäbe noch einige weitere Beispiele,
von denen ich euch erzählen könnte, jedoch muss ich jetzt leider zu
einem Ende kommen. Wahrscheinlich habe ich wieder irgendwas, dass mir
noch wichtig gewesen wäre zu erwähnen, vergessen. Aber wie auch
immer, ich denke das Wesentliche ist gesagt.
Letzte Woche ist es übrigens wieder
ein wenig wärmer geworden, der Monsun dürfte sich eine kleine
Auszeit genommen haben (und mit ein wenig wärmer meine ich, was -so
wie ich hörte- in Österreich als Rekord - Hitzewelle bezeichnet
wird, also so ca 35 – 36 Grad... jemand, der an so manchen Tagen im
indischen Sommer schon um die 48 Grad erlebt hat, kann Temperaturen
um die 35 Grad beim besten Willen nicht mehr als Hitze bezeichnen).
Ich wünsche euch noch einen schönen
Sonntag, von mir hört ihr wieder in 3 Wochen mit einem
(voraussichtlich) extra langen Erfahrungsbericht!
Ich will nur sgen dass es vorgestern 41°C (selbst gemessen) hatte und heute stolze 37° :D
AntwortenLöschenLg A.
Du wirst verstehen dass ich mir auch bei 41 Grad ein bissl schwer tu das als wirkliche Hitze zu bezeichnen.. 41 Grad war hier Durchschnittstemperatur über mehr als einen Monat lang, und 48 Grad ist halt doch auch nochmal ein anderes Kaliber :P
AntwortenLöschen..aber wie auch immer, um die Temperatur gings mir eig gar nicht mal so in dem Eintrag^^ -versteh aber natürlich trotzdem dass euch sehr heiß sein muss nachdem ihr das nicht gewohnt seid- (wer bist du übrigens eigentlich lieber anonymer A.?^^)
Lg