Samstag, 1. Oktober 2011

Über zwiespältige Schönheit und meine erste selbst geöffnete Kokosnuss


Ein Monat Indien. Ich blicke zurück auf ein uneingrenzbares Ausmaß von Eindrücken; stelle aber gleichzeitig fest, dass tatsächlich noch 11 weitere intensive Monate voller Eindrücke auf mich warten. Eigentlich kann ich mir das gerade kaum vorstellen. 11 Monate. Dabei habe ich schon so viel erlebt. Aber wer weiß was in diesen 11 Monate noch so auf mich zukommen wird.

Diese Woche war jedenfalls auch wieder reich an Eindrücken und Erlebnissen. Ich versuche wieder in einem halbwegs überschaubaren Rahmen (haha wers glaubt :P) diese mit euch zu teilen.

Oh Vimukti, du Königreich von Schabe und Fledermaus, von Mosquito und Riesenspinne; du Heimat einer nicht auflistbaren Artenvielfalt von Pflanze und Tier. Wie zwiespältig und wunderbar grotesk ist deine Schönheit.
Wenn ich über Vimukti anfange zu schreiben, überkommt mich immer ein gewisser  Hang  die Dinge mit einer vielleicht gar etwas ausschweifenden Bemalung zu beschreiben, einfach weil die ganze Umgebung hier die reinste Poesie ist. Zumeist kommt allerdings auch wieder dieses Gefühl in mir hoch, welches mich auf den Boden der Tatsachen zurückholt und mich wieder meiner nicht immer einfachen Situation hier erinnern lässt, und damit auch die eine oder andere Schattenseite, welche ohne Frage ebenso gegeben sind, für mich  aufdeckt. Aber wie auch immer, die Natur ist jedenfalls meiner Meinung nach ganz klar das überwiegend Schönste an Vimukti -mit der Ausnahme man befindet sich gerade in seinem Zimmer und ist, so wie immer, in der Unterzahl eines nie enden wollenden, verbissenen Kampfes gegen Schaben, Mosquitos und co., mit nur dem einen oder anderen Gecko als Rückendeckung-.
Zwiespältig und eigentlich auch grotesk sind wahrlich zwei passende Adjektive zur Beschreibung meiner eigentlich doch sehr schönen Zeit hier. Das sollte ein wenig erklärt werden. Zunächst mal, es ist ohne Frage wirklich eine super Zeit die ich hier erleben darf, die Schönheit Vimuktis offenbart sich mir in den verschiedensten Facetten, auch wenn sich diese Offenbarungen in, ich würde sagen, eher unregelmäßigeren Zeitabschnitten entfalten. Denn, gewiss, nicht nur Schönes offenbart sich mir hier. Auch viel Kampf und Unangenehmes. Bevor ich mich mit dem Punkt 'Kampf' wieder vermehrt auseinandersetze, möchte ich noch kurz auf das Stichwort 'Unangenehmes' eingehen. Als unangenehm würde ich zum Beispiel die Situation letzte Woche in Vimukti beschreiben, als Konrad und ich plötzlich kein Trinkwasser mehr hatten. Kishuan, ein Campleiter, meinte zwar er würde uns für die angehende Woche am Montag einen großen Tank Trinkwasser aus dem Dorf besorgen -damit wir nicht mehr jede Woche 8 Liter Wasserflaschen zwischen Vijayawada und Vimukti hin und her schleppen müssen-, doch, da wir wussten dass man auf das was Inder sagen nicht immer 100% Wert legen sollte, haben wir uns aus Vorsicht trotzdem eine Wasserflasche mitgenommen. Nun, diese war jedoch, trotz allen Einsparungen als Folge der erwartenden Warterei auf das Wasser, Dienstagabend zu Ende, und wir hatten noch immer nicht den versprochenen Tank Trinkwasser erhalten. Am Mittwoch hatten wir dann also kein Trinkwasser mehr, doch als wir schließlich genügend Druck ausgeübt hatten, bekamen wir so gegen Abend endlich das versprochene Wasser. Aber wenn wir schon beim Thema Betriebsleistungen sind: Letzte Woche habe ich erzählt, dass das Kohlekraftwerk streikt und daher immer unregelmäßiger Strom zur Verfügung steht. Mittlerweile ist es allein in Vijayawada so, dass etwa 5 -6 Stunden am Tag kein Strom mehr zur Verfügung steht. 5 - 6 Stunden am Tag kein Strom sind aber schon richtiger Luxus im Vergleich zu Vimukti, wo mittlerweile den ganzen Tag lang kein Strom mehr vorhanden ist. Besonders an sehr heißen Tagen macht sich die Absenz des Stroms bemerkbar, da man an jenen dringend einen Ventilator benötigen würde. Was ich hierbei aber nicht verstehe, ist wie die Inder dann mit ihrem ohnehin schon so maroden Stromnetz umgehen, sobald sie wieder Strom haben. Donnerstagabend zum Beispiel wurde die Soundanlage auf Maximum aufgedreht, deren Dröhnen war auf der gesamten Anlage zu spüren. Eine halbe Stunde später war der Strom wieder ausgefallen, und diesmal aber für die ganze Nacht. Das Stromnetz hatte die übertriebene Leistung einfach nicht mehr verkraftet. Ich war nicht besonders verwundert darüber. Jedoch war ich dann, obwohl es in der Nacht wieder ziemlich heiß wurde und ich dringend einen Ventilator benötigt hätte, doch ziemlich froh darüber, dass der Strom weg war. Es ergab sich daraus nämlich ein sehr netter Abend. Im Taschenlampenlicht wurde UNO und Schach gespielt, es wurde zum Zeitvertreib gesungen und getrommelt und am Dach haben wir uns in völliger Finsternis die Sterne angeschaut. Ich habe noch nie ein so klares und so strahlendes Sternenbild gesehen wie an jenem Abend in Vimukti. Das war einfach wunderschön. Die Burschen haben dann ihre Matratzen aufs Dach geschleppt und am Dach geschlafen. Ein weiterer positiver Effekt war, dass ich in Ruhe einschlafen konnte, was sonst aufgrund der dröhnenden Anlage wohl nicht möglich gewesen wäre.
Nun ja, soviel jedenfalls zu meiner Situation mit Strom und Wasser diese Woche in Vimukti, nun möchte ich mich dem Thema 'Kampf' zuwenden. 'Kampf' beziehe ich eher auf die Art von Kampf bei den Jugendlichen mehr und mehr anzukommen. Denn das ist, wie auch schon vorhergehenden Blogs zu entnehmen ist, wirklich nicht immer leicht. Jede Woche mache ich in diesem 'Kampf' neue Erfahrungen. Was sich mir diese Woche zum Beispiel offenbart hat, ist, dass die Jugendlichen sehr darauf achten --zumindest habe ich diesen Eindruck- ob du etwas 'drauf hast' oder nicht. Wenn ich zum Beispiel in Cricket irgendeinen Fehler mache -was einfach ein Resultat dessen ist, dass mir hier niemand die Regeln gescheit erklären kann und ich mir daher den Großteil einfach selbst zusammenreime-, dann muss darüber natürlich gleich einmal lautstark gelacht werden. Und selbst dann wird einem nicht mal gesagt was man überhaupt falsch gemacht hat. Ich denke das hängt auch damit zusammen, dass sich die Burschen in ihrem Gebiet, in diesem Fall jetzt Cricket, dem Fremden einfach überlegen fühlen wollen. Sportsgeist wie wir es kennen gibt es eigentlich nicht, hier musst du einfach selbst daraus lernen und obwohl du dich darüber ärgerst immer wieder mitmachen wenn wieder Cricket gespielt wird (was eigentlich eh jeden Tag der Fall ist), bis du es schließlich raus hast. Selbiges übrigens auch beim Schach, was neben Cricket zu dem absolut beliebtesten Zeitvertreib in Vimukti gehört; und nachdem es die Burschen rund um die Uhr spielen, sind sie auch dementsprechend gut darin. Ich bin absolut kein begnadeter Schachspieler; durch dumme Anfängerfehler die ich bei den ersten Spielen gemacht habe, wurde ich schnell zum beliebtesten 'Opfer', quasi zum fixen Bestandteil der Unterhaltung die durch dieses Spiel erzielt werden sollte. Trotzdem habe ich Schach wie auch Cricket immer wieder mit den Burschen gespielt, bis ich endlich meinen ersten Sieg in Schach errungen hatte, beziehungsweise auch in Cricket begonnen habe langsam aber sicher meine Fehlerquote zu senken. Mein größtes Erfolgserlebnis war aber bisher mit den Burschen Fußball zu spielen, hierbei konnten Konrad und ich zur Abwechslung mal den Spieß umdrehen und diejenigen sein die vorführen. Mehr als einmal Fußball spielen war bisher allerdings leider nicht drin. Die Inder spielen nicht gerne Spiele in denen sie nicht gut sind, obwohl ich den Eindruck hatte, dass es ihnen eigentlich doch recht Spaß gemacht hat. So ähnlich verhält es sich übrigens auch mit Volleyball, obwohl sie das meiner Meinung nach eindeutig besser können. Das ist es jedenfalls was ich mit zwiespältiger Schönheit meinte. Die Schattenseite meiner Zeit hier in Vimukti sind überwiegend die Rückschläge, die ich bisher bei den Versuchen an die Jugendlichen heranzukommen erlitten habe. Und obwohl mir genau das, also das an sie herankommen, langsam aber sicher immer besser zu gelingen vermag, bin ich irgendwie froh darüber, dass das Camp nächste Woche endet (ich weiß letztes Wochenende meinte ich, dass die kommende Woche die letzte Woche sei, aber da sieht man wieder wie chaotisch Inder sind, die viele Dinge einfach im letzten Moment umentscheiden). Kommenden Mittwoch gibt es noch als endgültigen Abschluß eine Abschiedsfeier und ab übernächste Woche bin ich dann für 10 Tage im Boys Shelter, um die neuen Jugendlichen die nach Vimuki kommen kennen zu lernen. Auf diese 10 Tage bin ich schon echt gespannt, generell auf die neuen Burschen. Ich blicke dem neuen Camp jedenfalls optimistisch entgegen. Ich habe im alten Camp noch einige, wichtige Erfahrungen im Bereich der Jugendbetreuung sammeln dürfen und denke, dass ich in Berücksichtigung dieser, im neuen Camp einiges besser machen werde. Da das aktuelle Camp sich dem Ende neigt, waren wir am Freitag alle gemeinsam auch im Kino. Wir haben uns einen Film angeschaut, über den hier überall, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, wie verrückt Werbung gemacht wird. Auf allen Straßenecken lacht dich der Hauptdarsteller des Films an. Die Inder im Kinosaal sind beim erstmaligen Erscheinen des Typen auf der Leinwand völlig ausgeflippt, haben geschrien und gejubelt wie verrückt. Obwohl ich nicht viel verstanden habe was die in dem Film geredet haben, so habe ich dennoch nicht sehr lange gebraucht um festzustellen, was für ein Schrott der Film ist.
Ein billiger Abklatsch einer potentiellen James Bond Handlung. Der natürlich unheimlich gut aussehende Protagonist kämpft die meiste Zeit des Films gegen eine nicht enden wollende Anzahl von schwer bewaffneten, bösen Gestalten, weicht auf möglichst coole Art und Weise all ihren Schüssen aus und macht sie mit einem Kapoera ähnlichen Kampfstil auf ziemlich brutale Art und Weise fertig; und was natürlich auch nicht fehlen darf ist die attraktive Frau, deren Herz er mit seinem unwiderstehlichen Charme gewinnt. Ein wenig irretierend fand ich es, dass selbst, beziehungsweise vorallem das männliche Publikum im Kinosaal begonnen hat zu schreien wenn er gerade getanzt oder gesungen hat, was in einem indischen Film natürlich auch nicht fehlen darf. Bewundernswert fand ich es, wie es die Macher des Films tatsächlich bewerkstelligt haben, die Handlung in 3 Stunden Vorführung zu verpacken. Aber das haben hier irgendwie alle Filme gemeinsam - Überlänge. Die Inder wollen halt möglichst lange unterhalten werden für ihr Geld.

Erwähnenswert scheint mir übrigens auch, dass ich diese Woche meine erste Kokosnuss, mit einem sensenähnlichen Messer, selbst geöffnet habe. Zwar mir Müh und Not und am Ende hat die Kokosnuss auch ziemlich entstellt ausgesehen, aber das Kokosnusswasser hat trotzdem sehr gut geschmeckt! In den nächsten Wochen möchte ich lernen auf eine Palme zu klettern und mir selbst eine zu holen; das ist übrigens auch gar nicht so leicht, da die Palmen hier doch teilweise ziemlich hoch sind. Achja und meine erste Mango habe ich auch bereits schon gegessen, sie war zwar noch nicht ganz reif, aber dennoch schon sehr gut! Das Sammeln von Früchten und das Ernten von den eigens angelegten Gemüsefeldern ist übrigens ein wesentlicher Bestandteil des Tagesplanes der Burschen hier.

Abschließend möchte ich noch kurz ein paar Worte zu dem Thema Kommunikation loswerden. Der meiner Meinung nach anstrengendste Faktor der Kommunikation mit den Indern ist, dass die meisten einfach nicht durchscheinen lassen wollen, dass sie, aufgrund ihrer mangelnden Englischkenntnisse, manchmal einfach überhaupt keinen Plan davon haben wovon du redest. Trotzdem wollen sie aber, dass du zumindest den Eindruck hast, nach dem Gespräch mit einer hilfreichen Auskunft deines Weges zu ziehen. Sprich, sie sagen oft einfach irgendwas, hauptsache du verlässt das Gespräch mit einem dankbaren Lächeln. Besonders mühsam erweist sich das bei Wegbeschreibungen. Wenn ich zum Beispiel einen Inder so etwas frage wie 'Do I have to go this way to the supermarket?' so folgt meistens eine enthusiastisch zustimmende Geste. Auch wenn du daraufhin in die komplett falsche Richtung gelangst. Als ebenfalls sehr mühsam erweist es sich manchmal, dass die Inder einem das Glück geradezu aufdrücken wollen. Letzte Woche zum Beispiel hat Konrad und mich während einer Rikschafahrt der Fahrer gefragt, ob wir bei Navajeevan arbeiten; nachdem wir diese Frage bejaht haben, war der Fahrer sehr epicht darauf uns zur Navajeevan Zentrale zu bringen, obwohl wir eigentlich in unsere Flat wollten, die in der Nähe von der Zentrale liegt. Wir sind schon neben unserer Flat gewesen mit der Rikscha, und obwohl Konrad und ich ihm 1000 Mal gesagt haben er soll endlich stehen bleiben, ist er einfach weitergefahren zur Zentrale. Er dachte sich wohl, dass wir schlichtweg nicht wollen, dass er uns weiter bringt als bis zum ausgemachten Ort, obwohl wir ja eigentlich noch weiter zur Zentrale gehen müssten. Als wir endlich ausgestiegen waren, hat er uns sehr verwundert nachgeschaut als wir in die umgekehrte Richtung gegangen sind.

Eigentlich habe ich den Abschluß meines Eintrags, mit Erzählungen von dem manchmal etwas mühsamen kommunikativen Umgang mit den Indern bereits eingeläutet, jedoch ist mir gerade noch ein letzter Punkt eingefallen, den ich noch erwähnenswert finde. Eigentlich dachte ich, dass nach dem Ganesh Festival, welches etwa Mitte September zu Ende war, mal Pause von den Festlichkeiten herrschen würde. Doch da hatte ich wohl falsch gedacht. Nur ein paar Tage später schon wurde sehr ausgiebig der Parteitag der Kommunisten gefeiert. Ich wusste davor nicht, dass die Kommunisten einen derartigen Einfluss in Indien haben, aber an jeder Straßenecke war das Zeichen mit dem Hammer und der Sichel zu sehen. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land, überall war es festlich geschmückt mit kommunistischen Flaggen, Bildern, Lampions, usw. An einem anderen Tag wurde ein bestimmter Politiker wie wild gefeiert, den sie alle nur 'Power Star' nannten. Auch die Kinder wussten alle wer dieser 'Power Star' sei und haben alle bis über beide Ohren gestrahlt als ich seinen Namen genannt habe. Die Inder lieben es politisch engagiert zu sein und darüber zu reden. Das habe ich speziell bei dem Kommunisten Parteitag und der Feier für diesen 'Power Star' festgestellt.

Nun, mal wieder habe ich einen 'halbwegs überschaubaren Rahmen' bezüglich meiner Erzählungen nicht ganz einhalten können. Ich hoffe trotzdem, dass ich euch wieder halbwegs erfolgreich meine Eindrücke und Erlebnisse vermitteln konnte.

Noch einen schönen Sonntag aus Indien wünscht euch

Konsti

1 Kommentar:

  1. Lieber Konsti,
    bin sehr froh, deinen Blog entdeckt zu haben!
    Hab jetzt mal den allerersten und aktuellsten gelesen, und bin sehr beeindruckt. Von deinem Schreiben, was du erlebst, wie reflektiert! du die ganze Sache angegangen bist/weiter gehst.
    Gerade für jemanden wie mich, der in seinem verhältnismäßig luxuriösen Kämmerlein in Wien sitzt und die Tage hier verlebt, ist von deinen Erfahrungen zu lesen, echt viel wert!
    Du bist nicht nur ein Botschafter dort, sondern du bringst auch Botschaften zurück in deine Heimat! :-)
    Danke dafür, mögest du weiterhin mit aller Ausdauer und Tatendrang weitergehen können.
    David

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