Sonntag, 25. September 2011

Die Sache mit der Zeit


Jetzt ist es schon bald ein Monat seit meiner Ankunft hier in Indien. Und einerseits bin ich
auch wirklich überrascht von dem Gedanken, tatsächlich schon fast ein Monat in Indien zu sein. Aber dann gibt es auch wieder so die Tage, an denen man auf den Kalender schaut und einfach nicht glauben kann, dass es tatsächlich noch so und so viele Tage bis zur Abreise zurück nach Österreich sind.
Das mit der Zeit ist eine komische Sache. Deren persönliche Einschätzung hängt nun mal zum Teil, wenn nicht sogar gänzlich, davon ab, wie man seine Zeit erlebt. Und meine Zeit hier erlebe ich ohne Zweifel als die intensivste, bereicherndste aber auch gleichzeitig als die fordernste Zeit meines Lebens. Und das sage ich mit vollem Bewusstsein 3 Monate nach der Matura -in der ich zwar ohne Frage Ängste auszustehen hatte-, die aber trotzdem kein vergleichbares Erlebnis mit meiner Zeit hier ist.
Derzeit erlebe ich hier jedenfalls, wie man schon meiner Einschätzung der Zeit gegenüber bereits abnehmen konnte, ein ständiges Auf und Ab in dem Versuch mich hier einzubringen. Ich glaube, was mir einfach sehr zu schaffen macht, ist das Gefühl dabei ständig hinterher zu hinken. Und einige Jugendliche hier in Vimukti machen es mir, ehrlich gesagt, dazu auch nicht besonders leicht teilweise. Ich will auf diesem Punkt jetzt nicht länger herumreiten, ich stelle nur fest, dass ich nach wie vor so ein bisschen in der Luft schwebe und die Burschen aber scheinbar nicht verstehen, dass für mich das Ganze einfach extrem ungewohnt ist. Teilweise habe ich das Gefühl, sie denken ich sei eine Art Elite Auslands - Sozialhelfer, der bereits mehrere Jahre Erfahrung in Krisengebieten gemacht hat und der für diese Art von Situation speziell geschult und trainiert worden sein muss. Deshalb verstehen sie auch nicht, warum ich noch Zeit brauche für diese ganze Situation. Mir erscheint trotzdem auch wichtig zu erwähnen, dass ich mich jedoch mit Anderen wiederum durchaus immer besser verstehe. Manche, die am Anfang noch ziemlich misstrauisch und eher distanziert waren, gehen jetzt mehr auf mich zu und das macht es mir natürlich schon auch leichter.

Das aktuelle Camp in Vimukti neigt sich jedenfalls langsam seinem Ende zu, nächste Woche endet das Camp. Normaler Weise dauert ein Camp etwa 3 Monate, doch die Jugendlichen sind schon fast 4 Monate hier. Obwohl alle Burschen die jetzt gerade noch im Camp sind, beim nächsten Camp auch wieder teilnehmen könnten wenn sie wollen, werden einige nicht mehr kommen, da sie jetzt nun lieber beginnen wollen zu arbeiten und sich soweit auch rehabilitiert haben. Natürlich werden die Jugendlichen auch nach der Zeit in Vimukti von Navajeevan dabei unterstützt, sich in die Arbeitswelt hineinzuintegrieren. Ich bin jedenfalls schon echt gespannt auf das nächste Camp, zu dem wieder völlig neue Gesichter dazu kommen werden. Für das nächste Camp werden Konrad und ich uns mal gescheit vorbereiten, in dieses hier sind wir ja quasi mittendrin hineingeworfen worden. 10 Tage werden zwischen dem Ende des noch aktuellen Camps und dem Anfang des neuen Camp liegen. Diese 10 Tage sind auch dafür gedacht, mit den Burschen, die aus dem Boys Shelter nach Vimukti kommen, schon ersten Kontakt zu knüpfen. Sobald das Camp dann beginnt, wollen wir mit den Burschen gleich zu Beginn ein paar fixe Regeln im Unterricht ausmachen, da das Unterrichten hier sonst einfach sehr mühsam ist, da sich niemand an irgendeine Ordnung hält. Wenn irgendwer was weiß, dann springt er gleich auf und läuft zur Tafel um mir die Kreide zu entreißen und es hinzuschreiben. Leider bleibt es zudem im Normalfall nicht nur bei einem der aufspringt, meistens springen dann gleich eine ganze Handvoll Schüler auf die sich dann um die Kreide streiten. Trotzdem ist der Unterricht für mich eine Zeit, in der ich das Gefühl habe mich am meisten einbringen zu können. Auch wenn die Motivation die Class zu besuchen bei den Burschen in Vimukti mittlerweile exponentiell am sinken ist -was auch irgendwie verständlich ist nachdem die kommende Woche ihre letzte Woche in Vimukti ist-, so glaube ich trotzdem, über den Unterricht zu dem einen oder anderen so halbwegs durchgedrungen zu sein.

Interessantes politisches Detail am Rande: Der Bundesstaat, oder wie die Inder sagen, der Unionsstaat, in dem ich mich befinde -also Andhra Pradesh-, plant sich in 2 Unionsstaaten aufzuspalten. Diese Idee dürfte, sollte sie denn tatsächlich umgesetzt werden, einen gewissen Nachteil für die Betreiber des Kohlekraftwerks in Vijayawada darstellen. Welcher Nachteil das jetzt genau ist, habe ich in 3 Gesprächen (!!) mit Indern bereits versucht zu ergründen, jedoch war ich nach jedem Gespräch genauso schlau wie vorher. Die indische Art Englisch zu reden ist einfach eine einzige Katastrophe; so wie die Inder die Wörter dahernuscheln müsste man schon nach jedem 2. Wort 'Please what!?' sagen um sich halbwegs einen Kontext aus dem Gesagten reimen zu können, und das wäre jedoch wiederum unhöflich. Ich glaube über die indische Art Englisch zu reden könnte ich mal einen eigenen Blogeintrag schreiben. Folge dessen ist jedenfalls, dass die Betreiber des Kohlekraftwerks jetzt jeden Tag zwischen 11 und 13 Uhr das ohnehin schon so marode Stromnetz abschalten, was nun offensichtlich zu noch mehr Wackelkontakten, also zu noch häufigeren Stromausfällen am Tag als ohnehin bereits führt.
Aber irgendwie gewöhnt man sich auch an die ständigen Stromausfälle. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man gerade im Internet ist oder froh ist bei der unaushaltbaren Hitze endlich unter einem Ventilator zu stehen und plötzlich alles still gelegt ist. Doch wenn das dann zum ständigen Teil des Alltags wird, ärgert man sich irgendwann nicht mehr darüber sondern akzeptiert seine Situation einfach.

Was ich noch abschließend als erwähnenswert empfinde, ist übrigens die erstaunlich facettenreiche Vielfalt an Bekanntschaften die ich hier schließe. Hervorstechend unter vielen Bekanntschaften, finde ich unter anderem die Bekanntschaft zu dem Letten Andrei, der seit ca 2 Jahren in Indien lebt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Schlafen tut er dort wo es sich gerade so ergibt. Da er auch schon bei einigen Projekten der Salesianer Don Bosco mitgeholfen hat, kennt er auch einige Salesianer - schläft und isst daher oft einfach in Don Bosco Einrichtungen. Ich finde den Typen faszinierend weil man ihm einfach eine absolute innere Zufriedenheit mit seinem Leben ansieht, obwohl er jetzt keine direkte Ausbildung oder sonst etwas in der Hand hat. Aber er meint einfach er sehe nicht ein, sich dem Turbo Kapitalismus unserer Zeit, als eine Arbeiterdrohne von vielen hinzugeben. Andrei reist durch das Land auf der Suche nach sich selbst, wie er sagt. Von ihm habe ich auch den Tipp für einen Meditationskurs bekommen, der in Hyderabad, von hier etwa 8 Stunden mit dem Zug entfernt, stattfindet. Dieser Kurs ist überkonfessionell, gratis -man kann eine Spende geben wenn man will- und dazu gibt es dort umsonst Essen - natürlich nur ganz einfache Kost. Der Kurs dauert 10 Tage lang und besteht aus Praktizierungen verschiedener Atemübungen und Übungen die dazu dienen sich und seinen Körper in Einklang zu bringen, sich tiefer zu ergründen und kennen zu lernen. Ich habe solche Meditationsübungen eigentlich schon immer sehr interessant gefunden und habe mich spontan dazu entschlossen, das auch auszuprobieren. Ein Grund für meine Entscheidung war auch, dass ich aus meiner Zeit hier einfach das Maximum rausholen will, und dazu gehört auch solche einzigartige, vielleicht etwas unkonventionelle Erfahrungen zu machen. In eine fremde Stadt zu reisen und 10 Tage lang wie ein Asket zu leben... das wird sicher sehr interessant und ich freue mich schon echt darauf.

Aufregende Geschichten habe ich von dieser Woche leider nicht wirklich zu bieten, aber ich bin schon gespannt was diese Woche so alles passieren wird. Somit verabschiede ich mich mal fürs erste, auch wenn ich heute wie auch morgen via Skype oder Facebook oder Mail noch zu erreichen sein werde! (Fahre erst am Dienstag wieder ins Projekt, da morgen eine Volontärin Geburtstag hat, sie ein Special für ihre Kinder geplant hat und wir ihr dabei helfen müssen)

Liebe Grüße aus Indien

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