Es ist Februar. Bei euch ist es seit ein, zwei Wochen
sibirisch kalt geworden; in Indien hingegen wird es wieder zunehmend wärmer
(auch wenn es nie kühl oder so gewesen ist, jedoch war es in den letzten Wochen
etwas milder als sonst). In einem Monat beginnt schon der indische Sommer und
dauert bis Mai an. Eine Jahreszeit, der ich, speziell in Indien, mit sehr viel
Respekt entgegenblicke – auf bis zu 50 Grad kann der Temperaturmesser in dem
Thermometer hochklettern. Ich sehe mich schon in meinem Zimmer in Vimukti auf
dem Boden kauernd, den Ventilator anflehend, nach einem langen Tag ohne Strom,
endlich wieder mit seinen für Erleichterung sorgenden Rotationsbewegungen
anzufangen. Gleichzeitig freue ich mich aber auch schon auf den Sommer->
denn von März bis Mai haben wir Mango-Season! Und damit habe ich mit den 300
Mango Bäumen in meinem Teilprojekt Vimukti einfach den Jackpot gezogen. Ich
blicke dieser Zeit also mit gemischten Gefühlen entgegen.
Aber ich beschäftige mich zur Zeit eigentlich nicht so sehr
mit dem bevorstehenden Sommer; viel mehr verbringe ich meine Zeit damit, mit
meinem aktuellen Alltagswahnsinn zurecht zu kommen. Zu diesem hat sich nun
nämlich, zumindest wenn ich gerade in Vijayawada bin, eine Gelsenplage
hinzugesellt, die vor ein paar Wochen dort ausgebrochen ist. Der Grund für die
Gelseninvasion sind die verebbten Kanalarme, von denen ich euch bereits erzählt
habe -> vor ein paar Wochen noch durch Vijayawada fließend, sind deren
Zuführungen aus dem Krishna River mittlerweile geschlossen worden. Was auf
Gutdeutsch heißt: Überall auf dem verebbten Flußbett sieht man -neben übel
riechendem Müll- kleine Wassertümpel die als Gelsenbrutstätten einen neuen ‚Existenzzweck‘
gefunden haben.
Mit Einbruch der Dämmerung und in der Nacht wurde es in den
letzten Wochen mit den Gelsen -bzw. Mosquitos (bei Gelsen wissen unsere
deutschen Volontärskollegen unterhaltsamer Weise nicht wovon die Rede ist)- langsam
aber sicher unaushaltbar. Mittlerweile aber lässt es sich -zumindest nachts- mit
dem Gelsenwahnsinn leben, da wir uns ein paar Anti-Gelsen Räucherstäbchen
besorgt haben, die es in Indien glücklicherweise überall zu kaufen gibt und die
-im Gegensatz zum indischen Gelsenstecker- auch wirklich was bringen.
Nun, soviel zu meiner derzeitigen Gelsensituation. Über
meine Woche in Vimukti gibt es diesmal -ausnahmsweise- eigentlich nicht
wirklich etwas zu berichten, da ich erst am Donnerstag nach Vimukti gefahren
bin. Am Montag und am Mittwoch musste ich unter anderem ein paar administrative
Arbeiten in der Stadt erledigen, die mir zwar den letzten Nerv geraubt haben,
von denen es jetzt aber nichts weiter zu erzählen gibt. Am Dienstag war der
‚Don Bosco Day‘, an welchem dem Jugendheiligen Don Bosco zu seinem Todestag
gedacht wurde. Wir Volontäre begrüßten die Mitarbeiter, die zu diesem Anlass aus
allen Teilprojekten in die Projekt- und Volontärszentrale Yuva Bhavan strömten,
mit Blumen und hörten uns eine Telugu Rede über Don Bosco von Father Arogia an.
Am Abend fand noch eine Messe statt mit einem anschließendem Festessen. Nun ja,
also ereignistechnisch kann die Woche wohl nicht ganz mit der vorhergehenden
mithalten. Jedoch ist es zumindest dieses Wochenende noch ein wenig
abwechslungsreicher gewesen. Am Samstagabend feierten Barbara und ich mit den
anderen Volontären und den Fathers im Yuva Bhavan unseren Geburtstag, welcher
bei Barbara am selben Tag stattfand und bei mir 2 Tage zuvor stattgefunden
hatte. Weiters gehen wir Volontäre zu diesem Anlass auch heute noch in das
Restaurant ‚Flavours‘ essen. Ebenfalls erwähnenswert: diese Woche verlässt uns
nach 1-jährigem Aufenthalt Birgit, eine Volontärin aus Österreich, die
ebenfalls ihren Einsatz mit Jugend eine Welt gemacht hat. Am Dienstag findet
das Abschlussessen statt.
Nun… mein Schreibdrang ist noch nicht ganz gestillt, und
irgendwie liegt mir das folgende Thema auf der Seele; daher möchte ich jetzt noch
kurz, zumindest versuchen, in Formen zu fassen, wie ich die Zeit seit meiner Ankunft
in Indien erlebt habe.
Es ist ein etwas eigentümliches und schwer zu beschreibendes
Gefühl, wenn ich jetzt nach 5 Monaten versuche, meinen Einsatz zu reflektieren
und in Worte zu fassen. Wenn ich an die Zeit vor meinem Volontariat denke,
welche mittlerweile nur noch als ziemlich verschwommen und wie eine halbe
Ewigkeit zurückliegend in meinem Gedächtnis abrufbar ist, dann muss ich über
die Art und Anzahl von Vorstellungen, die ich mir von meinem bevorstehenden
Einsatz damals gemacht habe, schmunzeln. Mein Volontariat ist überhaupt nicht
so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber bei mir sind Dinge selten
so, wie ich sie mir im Vorhinein, in unrealistischen und teilweise in
Idealismus verloren gegangenen Gedankenzügen ausgemalt habe. Das heißt nicht,
dass ich meinen Einsatz, in meinen Vorstellungen, als eine positivere Erfahrung
erlebt habe. Nur als eine völlig andere. Wahrscheinlich aber geht es vielen
Volontären so, bevor sie auf einen so langen Einsatz fahren, dass sie bereits
eine Vorstellung, eine gewisse Erwartungshaltung von ihrem bevorstehenden Jahr
in der Fremde haben. Es gibt aber auch die Volontäre, die schon Erfahrung in
diesem Gebiet gesammelt haben und die mit einer ab- bzw. aufgeklärteren
Einstellung diesem Jahr gegenübertreten. Bei mir war es mehr wie ein Sprung ins
eiskalte Wasser. Zwar habe ich mich im Vorfeld mit Jugend eine Welt auf das
Jahr vorbereitet, bzw. in meiner Kirche, der City Church, und bei dem sozialen
Verein ‚Kiddy und Co.‘, im Bereich der Kinderbetreuung ein wenig Erfahrung
gesammelt. Doch was so ein Jahr letzten Endes für einen bereithält, kann man
erst wissen, wenn man es erlebt hat. Und genau dieser Gedanke hat mir damals
des Öfteren den Magen umdrehen lassen. Diese Ungewissheit. Meine derzeitigen
Erlebnisse und Erfahrungen lassen sich, wie bereits schon gesagt, schwer mit
Buchstaben, Wörtern und Sätzen beschreiben… wenn ich mir meinen Einsatz aber
jetzt so hernehme, dann schießen mir spontan doch ein paar dazu passende Wörter
in den Sinn, auch wenn diese niemals das ganze Ausmaß an Erlebnissen und
Eindrücken decken können… dabei wären Extravaganz, Emotion, extreme
Ungewohntheit, Intensität, Herausforderung, Gefühlschaos und unablässig
einfallender Schwall an Eindrücken. Ich weiß nicht ganz, was ich mit dieser Gefühlsreflektion
bezwecken will; was sich in mir seit ein paar Monaten nun schon bei all den
Eindrücken abspielt, kann ich ohnehin kaum verständlich vermitteln. Einzig ausdrückbar
ist vielleicht, dass mich meine Zeit hier mit einer Intensität und Inspiration
beeinflusst, wie ich es vor meinem Einsatz in Österreich, niemals erlebt habe.
Auch wenn ich die Zeit selbstverständlich nicht immer auf eine positive Art und
Weise intensiv erlebe. An manchen Tagen spielt sich die Intensität der
Erlebnisse und Eindrücke einzig auf einer überfordernden und an den Kräften
zerrenden Ebene ab; meine Arbeit in Vimukti wurde bzw. wird an solchen Tagen
als ein einziger, verbissener Kraftakt erlebt. Aber es gibt eben diese und jene
Tage. Einzig unverändert, an so ziemlich jedem Tag, bleibt die hohe Intensität
der einfallenden Eindrücke. Nun, ich möchte jetzt nicht länger auf diesem Thema herumreiten…
es lag mir nur auf der Seele, diesem, in mir bereits seit Längerem,
heranwachsenden Gedankenspiel, zumindest zum Teil, Ausdruck zu verleihen.
Abschließend möchte ich noch kurz auf einen Punkt eingehen,
bei dem mich mein Vater gebeten hat, dass ich ihn noch ein wenig näher
erläutere. Ich persönlich bin nicht auf die Idee gekommen, auf diesen Punkt
einzugehen, da ich dachte, dass er eh klar wäre.
Jedenfalls, wie euch bereits aufgefallen ist, rede ich fast
jede Woche immer nur von meinen -Burschen- in meinem Teilprojekt Vimukti. Jetzt
haben sich ein paar von euch vielleicht die Frage gestellt, warum es nicht auch
Mädchen in Vimukti gibt bzw. ob Navajeevan auch eigene Teilprojekte für Mädchen
hat. Zunächst einmal: Vimukti soll eine Möglichkeit für die Burschen bieten, um
den Kopf von allem frei zu kriegen und sich neu zu orientieren -> aus diesem
Grund dürfen auch keine Mädchen nach Vimukti kommen, da diese für die teilweise
stark pubertierenden Burschen mit recht hoher Wahrscheinlichkeit Ablenkung
bedeuten würden. ABER: Das heißt nicht, dass es keine Mädchenprojekte gäbe! Im
Kinderdorf Chiguru zum Beispiel, wurde erst unlängst das neue Mädchen – Cottage
‚Balika‘ eröffnet, in welchem nur
Mädchen betreut werden. Es gibt auch ein zweites, älteres Mädchen – Cottage in
Chiguru. Weiters gibt es zudem ein eigenes Mädchen Ausbildungsprogramm, in
welchem Mädchen unter anderem einen Computerkurs besuchen können. Das war jetzt
nur ein schneller Auszug an Teilprojekten von Navajeevan, die sich auf Mädchen
spezialisieren; es gibt noch weitere. Es gibt auch Heime, Bridge Schools, einen
Kindergarten (bei diesem sind die Kleinkinder aber gemischt),... Falls sich
also hierbei bei einigen von euch die Frage gestellt haben sollte, ob es denn auch
speziell für Mädchen die von der Straße kommen, Angebote gibt, dann hoffe ich,
dass diese hiermit geklärt wurde.
Soweit, so gut. Einmal wieder bin ich am Ende meines
Eintrages angelangt. Zwar war der heutige einmal ausnahmsweise weniger
actionmäßig als informativ, aber ich hoffe dennoch, dass sich der eine oder
andere von diesem Text etwas mitnehmen konnte. Nun, bleibt mir nur noch, euch
noch einen schönen Wochenendausklang und eine erfolgreiche Woche zu wünschen.
Liebe Grüße aus Indien
Konstantin
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