Samstag, 25. Februar 2012

Halbzeit! Der Countdown läuft...


Sonntag, 26. Februar. Mein letzter Blogeintrag im Monat Februar, und auch der letzte Blogeintrag über meine Zeit in meiner ersten Einsatzhälfte. Ende Februar bedeutet für meinen 1 jährigen Indien Einsatz Halbzeit! Und dazu passend werde ich kommenden Mittwoch auch in die langersehnte Halbzeitpause gehen, auf Urlaub mit meinen Eltern und meiner Schwester. 6 Monate bin ich nun schon in Indien. 6 weitere liegen noch vor mir. Wie manchen von euch vielleicht aufgefallen ist, blieb ein neuer Blogeintrag -nicht wie sonst so üblich-, letzten Sonntag aus. Als Grund für diesen Fauxpas, kristallisiert sich heraus, dass ich die ganze vorletzte Woche mit einer bakteriellen Infektion im Darm außer Gefecht gesetzt war, und wegen dieser auch nicht über die, in meinem letzten Blogeintrag von vor 2 Wochen, angekündigte Hochzeit der Tochter unseres Lassi Mannes berichten konnte; da ich anstatt sie zu besuchen meine Zeit damit verbrachte, mich in meinem Bett in der Volontärs Unterkunft, ständig hin und her wälzend, den Bauch zu halten. Die ganze Woche also musste ich in Folge pausieren und blieb in Vijayawada, aß nur Früchte, Joghurt und gelegentlich ein wenig Toastbrot. Mit dem Verlauf der Woche ging es mir allerdings zunehmend besser. An der Stelle sei gesagt, dass ich nicht ausschließe, dass der körperliche Zustand in dem ich mich in dieser Woche befand, auch mit seelischen Gründen zusammenhing. Die letzten Wochen in Vimukti waren einfach sehr intensiv und aufreibend, und nachdem ich zudem seit meiner Ankunft in Indien ohne Unterlass arbeite -wenn ich nicht gerade krank bin-, fühle ich mich in der letzten Zeit zunehmend erschöpft und energielos. Meine Arbeit macht mir nach wie vor Spaß, aber ich brauche wohl einfach mal ein bisschen Ruhe und Abstand von meinem verrückten Burschenhaufen in Vimukti. Umso sehnsuchtsvoller blicke ich dem, in 3 Tagen beginnenden, 1 ½ wöchigen Urlaub mit meiner Familie entgegen. Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was es über die vorletzte Woche zu erzählen gibt. Nun zu meiner letzten Woche.

Meine Woche in Vimukti fing einmal wieder damit an, dass ich zu hören bekam, einer der Burschen, Siva Kumar, sei abgehaut. Weiters waren am Samstag vor einer Woche 2 neue Burschen ins Camp dazu gestoßen. Die Stimmung im Camp ist eigentlich unverändert; also einer eher lethargischen, schwermütigen Natur. Die 2 Neuzugänge machten für mich letzte Woche ebenfalls einen, den meisten anderen Burschen gleichend, schwierigen, missmutigen Eindruck. Obwohl ich mit den beiden einen eigentlich ganz guten Start hatte. Als ich im Camp ankam setzte ich mich einmal zu ihnen hin, fragte nach ihren Namen, wie es ihnen ginge usw. - wie es sich halt gehört. In einer späteren Gruppenbesprechung meinten sie, ich sei der Erste gewesen, der sie nach ihren Namen, ihrem Befinden usw. gefragt hätte. Aus dem Grund waren sie mir gegenüber auch in Folge, zumindest an diesem Tag, aufgeschlossener und entgegenkommend. Die anderen Burschen zeigten jedenfalls von Anfang an Null Interesse an ihnen.  Das hatte jedoch nichts mit ihnen persönlich zu tun. Es ist wohl recht offensichtlich, dass die 2 in einer schwierigen Phase des Camps dazu gestoßen sind. Die meisten Burschen wirken nicht gerade glücklich und sind hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Das macht es für die Neuzugänge natürlich nicht leicht, da an so etwas wie Gruppenintegration der Neuzugänge keiner von den Burschen einen Gedanken verschwendet. So etwas wie eine zusammenhaltende Gruppe existiert eigentlich ohnehin nicht wirklich. Als Folge dessen versuchten die beiden Neuen jedenfalls, am darauffolgenden Tag gleich einmal abzuhauen. Zusammen mit 6 anderen Burschen. Meine Aufgabe während dieses Massenausbruchs am Dienstagvormittag war es, auf die verbliebenen Burschen aufzupassen. Wir setzten uns alle zusammen in einen Raum und ich besorgte ein paar Zeichenunterlagen, woraufhin der restliche Vormittag mit Zeichnen verbracht wurde. Die übrigen Mitarbeiter versuchten die Burschen einzufangen, und bis auf Prasad und Anil konnten zum Glück auch alle zurück ins Camp gebracht werden. Prasad und Anil scheinen allerdings endgültig weg zu sein. Am Nachmittag desselben Tages kam übrigens Konrad, der Volontär mit dem ich zusammen in Vimukti arbeite, von seinem Urlaub auf den Andananen zurück. Am nächsten Tag, Mittwoch, fand, so wie schon am Tag davor, wieder keine Englisch Class statt. Diesmal jedoch nicht deshalb, weil wieder Burschen abgehauen waren, sondern weil an diesem Tag eine Psychologin nach Vimukti gekommen war und den ganzen Vormittag bzw. auch fast den ganzen Nachmittag für ihre ‚Life Skill Class‘ in Anspruch nahm. Auch am Donnerstag gab sie diesen, was als Folge ebenfalls wieder den Ausfall der Englisch Class nach sich zog. Was genau die Burschen in dieser ‚Life Skill Class‘ gelernt haben, kann ich nicht sagen, da nur auf Telugu gesprochen wurde. Aber soweit ich es mitbekommen habe waren unter anderem Gruppenspiele Teil des Programms, die den Zusammenhalt fördern sollen. Am Mittwoch bekamen wir übrigens wieder einen Neuzugang. Kein minder schwieriger Fall als die beiden zuvor eingetroffenen Neuzugänge. Ich würde sogar sagen, dass dieser zu der ganz besonders schwierigen, aufmerksamkeitssuchenden, verhaltensgestörten und an Minderwertigkeitskomplexen leidenden Sorte gehört. Irgendwie stellvertretend für die meisten Vimukti Burschen. Aber was will man erwarten? Die Burschen kommen nun schon seit ein paar Wochen direkt von der Straße her, haben vielleicht ein paar Stunden zuvor gerade erst jemanden ausgeraubt um sich ihre Drogen beschaffen zu können bzw. stehen teilweise noch, wenn sie in Vimukti eintreffen, unter Drogeneinfluss. Ich arbeite an mir, mich mehr und mehr in ihre Situation einfühlen und sie verstehen zu können. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive. Mit der richtigen Perspektive fällt die Arbeit gleich viel leichter, da man beginnt zu verstehen, was die Betreuung von solch schwierigen Fällen eigentlich bedeutet und wie unangebracht es daher ist, ihnen ihr Verhalten übel zu nehmen. Aber ich muss dazu auch erwähnen, dass es die Burschen manchmal echt bis auf die Spitze treiben mit ihrem respektlosen Verhalten, und dann gelingt es mir nicht immer, meine Arbeit aus der Perspektive eines 100% verständnisvollen Menschen zu betrachten.
Am Donnerstag fuhren Konrad und ich in die nächstgelegene Stadt Nuzvid, um ein paar Süßigkeiten als Abschiedsgeschenk für 7 Burschen zu besorgen, da diese am selben Tag noch Vimukti verlassen und mit ihrer Ausbildung in einer der Ausbildungszentren von Navajeevan beginnen sollten. Sollten. Außerdem hatte ich letztes Wochenende Mappen besorgt, um in diesen ihre Arbeitsblätter und Zeichnungen von der Englisch Class und der Drawing Class einzusortieren und ihnen dann mitzugeben. Jedenfalls stellte sich noch am selben Tag heraus, dass die Burschen doch erst in 10 Tagen mit ihrer Ausbildung beginnen werden. Natürlich wurde uns das erst gesagt, nachdem wir die Süßigkeiten schon besorgt hatten. Aus dem Grund bekamen sie unser Abschiedsgeschenk einfach schon am Freitag, da die Sachen nicht 10 Tage lang gehalten hätten (es waren u.a. Bananen usw. dabei). Sie haben sich trotzdem gefreut.
Bei 4 von den Burschen die mit einer Lehre anfangen werden, also Sharef, Sai, Rahul und Vamsi, sehe ich wirklich gute Chancen, dass sie die Ausbildung packen werden. Bei Mastan, Mahesh und Ramesh bin ich jedoch nicht ganz so sicher, da diese meinten, nicht wirklich Lust auf Ausbildung bzw. Arbeit zu haben. Genauso aber haben sie auch keine Lust, in Vimukti zu bleiben. Das Einzige was ihnen in den Sinn zu scheinen kommt, ist in der Luft herumzuhängen, bzw. in Mastans Fall, fernzuschauen. Das ist, wie Mastan sagt, nämlich seine große Leidenschaft, und was er auch wirklich gerne den ganzen Tag lang machen würde. So als Lebensunterhalt versteht sich. Mastan, Ramesh und Mahesh sind ein bisschen stellvertretend für die meisten Burschen im aktuellen Camp. Wenn man sie nicht gerade zu Aktivitäten treibt bzw. sie unterhält, hängen sie einfach in der Luft herum und wissen nichts mit sich anzufangen. Meist aber hängen sie auch dann in der Luft herum, wenn man versucht sie zu unterhalten. Einzige Ausnahme ist natürlich Cricket. Bei der Aktivität sind sie voller Eifer dabei. Doch es ist halt auch ein bisschen zermürbend, wenn man wirklich jeden Tag nur Cricket spielt und die Burschen auf was anderes einfach keine Lust haben. Meine Football Class habe ich aus dem Grund mittlerweile auch aufgegeben, da niemand mehr Interesse an ihr gezeigt hat. Mein einzig treuer Football Class Besucher, der Sohn vom Gärtner -Ginnar Vamsi (Ginnar = kleiner)-, kann meine Class auch nicht mehr besuchen kommen, da er mittlerweile ein Internat besucht. Ich bin also wohl gezwungen darauf zu warten, dass bald mal wieder ein paar Burschen zum Camp dazu stoßen, die auch Interesse daran haben, etwas Neues zu lernen bzw. auszuprobieren. Stichwort Neuzugänge. Donnerstagabend stieß wieder ein neuer Bursche zum Camp dazu. Siva sein Name (von den Neuzugängen dieser Woche ist dieser einzige Name den ich mir gemerkt habe, da die anderen ziemlich kompliziert sind und wohl einfach noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen werden um gemerkt zu werden). Ich hatte noch nicht wirklich viel Zeit, mir ein Bild von ihm zu machen. Soweit ich es in der kurzen Zeit bis Freitag mitbekommen habe, schien er halbwegs gut Englisch sprechen zu können, gleichzeitig aber auch eindeutig an einem Aufmerksamkeitsdefizit zu leiden und so wie die anderen Neuzugänge auch, ebenfalls in seinen sozialen Kompetenzen stark begrenzt zu sein. Mehr werde ich wohl noch die kommenden 3 Tage über ihn in Erfahrung bringen.
Kommen wir aber nochmal zurück zum Thema  -Lustlosigkeit- meiner Burschen. Natürlich hängen jetzt auch nicht alle immer nur in der Luft herum. Immerhin fruchteten unsere Bemühungen, die Burschen bei ihrer Neuorientierung zu unterstützen, bei den bereits erwähnten Burschen Sharef, Sai, Rahul und Vamsi. Wobei Rahul eigentlich auch noch ein kleines Fragezeichen über sich stehen hat. Aber trotzdem. Immerhin. Ich hoffe sehr, dass sich ein paar von den anderen Burschen früher oder später auch noch fangen werden. Auch wenn es für mich oft eine zermürbende und aufreibende Aufgabe ist, bin ich dennoch froh, den Burschen bei ihrer Neuorientierung helfen zu dürfen. Die Arbeit fühlt sich einfach richtig an, auch wenn sie manchmal totale Überforderung bedeutet und an die Substanz geht. Und es zeigt sich auch, dass Burschen im pubertierenden Alter viel gezielter provozieren bzw. auf die Nerven gehen können. Klar ist jedenfalls, dass mit dem Abgang von Sharef, Sai und Vamsi, in Vimukti einiges anstrengender werden wird. Denn auf die 3 war einfach Verlass und halfen auch mit, dass alles halbwegs geordnet abläuft und nicht im Chaos versinkt. Jetzt besteht der Burschenhaufen in Vimukti wirklich nur noch aus Chaoten. Auf die nächsten Wochen bin ich ja schon gespannt. Aber jetzt heißt es ab Mittwoch erst mal Urlaub, bevor der Wahnsinn wieder anfängt.
Abschließend noch eine kurze Zusammenfassung über Samstag. An diesem Tag sind wir Volontäre mit Father Arogia, dem Volontärsverantwortlichen Anand und ein paar College Boys an den indischen Ozean gefahren. Nach ein paar Stunden in der Sonne liegen, mit dem Frisbee hin und her schießen bzw. im herrlich warmen Wasser schwimmen, aßen wir zu Mittag. Danach fuhren wir noch zu einem Vogelbesichtigungspark und anschließend zurück nach Vijayawada. Ein netter Ausflug ohne besondere Vorkommnisse. So kann es eben von Zeit zu Zeit auch laufen in Indien. Einzig weniger erfreuliches Ereignis war vielleicht das Auftauchen von einigen Quallen beim Schwimmen im Ozean. 2 Volontäre wurden gestochen, jedoch war es glücklicherweise nicht weiter schlimm.

So das wars auch schon. Ich muss heute noch für den bevorstehenden Besuch meiner Familie ein paar Sachen erledigen bzw. in der Stadt einkaufen gehen. Bin zugegeben schon sehr aufgeregt. Schließlich hat man nicht alle Tage so ein großes Familienwiedersehen irgendwo in Südasien. Möglicherweise zieht der Urlaub mit meiner Familie das Auslassen des nächsten Blogeintrages nach sich – sollte dem so sein folgt in 2 Wochen auf jeden Fall eine umso detailreichere Urlaubszusammenfassung.

Liebe Grüße aus dem noch immer von Gelsen gebeutelten, brennend heißen Vijayawada

Konsti

1 Kommentar:

  1. Viel Spaß in Deinem Urlaub :) Ich mache in diesem Jahr Urlaub in der Dominikanischen Republik.

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