Samstag, 31. März 2012

Die Kinderdorf Hochzeit


Heute ist Sonntag, der 1. April. Wieder liegt eine ereignisreiche Woche hinter mir. Eine Woche voller Eindrücke, voll schöner wie auch verdrießlicher, lustiger wie auch zermürbender, spannender wie auch schockierender, lehrreicher wie auch schwer zu verdauender. War dem seit meiner Ankunft Ende August 2011 überhaupt mal nicht so gewesen? Nun ja, die einen oder anderen Wochen gab es natürlich auch schon, in denen das Erlebte fast nur positiver, bzw. negativer Natur war. Diese Woche erlebte ich jedenfalls wieder den typisch abwechslungsreichen, indischen Wahnsinn. Den ich irgendwie wieder viel bewusster erlebe, seitdem mich meine Familie Anfang März besucht hat. Viele Dinge waren für mich schon zu einem selbstverständlichen, gewohnten Teil meines Lebens geworden, bevor meine Familie kam und mir mit ihren Reaktionen auf Indien wieder die Augen öffnete. Mit viel bewussterem und offenerem Sinn erlebe ich seitdem zum Beispiel auch wieder meine allwöchentliche Fahrt nach Vimukti, bei der ich, Sonntagabend, nachdem die Sonne schon untergegangen ist und ich eine 1 ½ stündige Busfahrt zurückgelegt habe, in der Stadt Nuzvid, einem Rikschafahrer in brüchigem Telugu klar machen muss, dass er mich zwar in Richtung des Dorfes Votti Gudi Padu bringen soll, auf halbem Wege jedoch in der Nähe der Navajeevan Gardens (so bezeichnen die Einheimischen das Vimukti) aussteigen lassen soll. In der Nähe der Navajeevan Gardens angekommen -nachdem ich in einer überfüllten Share Rikscha ca. 20 Minuten lang neben 3 Indern auf dem offenen, ausklappbaren „Kofferraum“ (dieses ausklappbare Teil als Kofferraum zu bezeichnen ist zwar am naheliegendsten, doch wirkt der Begriff so absurd wenn man dabei an unsere europäischen Kofferräume denkt) eingezwängt die Fahrt verbracht habe-, und anschließend den restlichen, unbeleuchteten Weg -ein schwer zu befahrener, von der Monsunzeit zugerichteter Dschungelpfad-, unter einem atemberaubenden Sternenzelt, umgeben von Palmen und Mangobäumen und einer Geräusch Kulisse, die jeder Urwaldgeräusche CD spottet, mit einer Taschenlampe entlang zu spazieren ist ein Erlebnis, dass meine Gefühlswelt mit Eindrücken und Gedanken flutet, und sich nicht einmal ansatzweise in Worte kleiden lässt. Unglaublich woran sich ein Mensch alles gewöhnen kann. Ich hatte mich jedenfalls auch an dieses Erlebnis gewöhnt, es als Teil meines Lebens begonnen selbstverständlich zu nehmen. Mit offenen Augen und reflektierendem Sinn durch solch eine Zeit zu gehen, hilft sehr, die Zeit so wertzuschätzen, wie sie es verdient hat. Und das versuche ich, die restlichen Monate die ich noch hier verbringe, auf jeden Fall mehr als wie in den vorherigen Monaten, zu tun.

Diese Woche war ich nur 2 Tage in Vimukti. Montagabend erfuhren Konrad und ich, dass wir zu einer Hochzeit eingeladen wurden, die am Mittwochvormittag im Kinderdorf Chiguru stattfand. Folglich fuhren wir bereits Dienstagnachmittag nach Vijayawada. Die zwei Tage die ich aber in Vimukti war, hatte ich den Eindruck, dass die Arbeit mit den Burschen allmählich bergauf geht. Nach wie vor müssen wir zwar natürlich noch immer viel herumschimpfen damit uns mal wer zuhört, aber wir machen Fortschritte. Als Fortschritt betrachte ich zum Beispiel auch die Tatsache, dass ich nicht mehr in meinem Zimmer von außen eingesperrt werde (das ist bei indischen Türen leider möglich). Als ich das letzte Mal in meinem Zimmer eingeschlossen wurde, war ich gerade aufgestanden und wollte mich zum Sportplatz begeben, da ich an dem Tag für den Morgensport mit den Burschen eingeteilt war. Ein wiederholtes an-der-Tür-rütteln, ließ mich schlagartig meiner Situation besinnen. Alle Burschen waren bereits auf dem Platz und warteten auf mich (natürlich bis auf den einen Schuldigen, der mich eingeschlossen hatte und sich ins Fäustchen lachte). Nachdem ich nicht kam, übernahm ein leicht verärgerter Raja meine Aufgabe. Nach viertelstündigem Schreien und Türgehämmere hörte man mich schließlich endlich am Platz und kam um mir zu öffnen. Es war 7 Uhr in der Früh, ich war erst vor 20 Minuten aufgestanden und niemand hätte meinem Blick ausgesetzt sein wollen, nachdem mir die Tür geöffnet wurde. Ich schaute den Burschen an, der mir geöffnet hatte und fragte nur kurz und scharf „Evaru?“ (=Wer?) – der Junge starrte mich mit großen Augen an und zeigte auf den Platz, auf welchem die anderen Burschen versammelt waren. Für manch einen mag mein Verhalten, und das was jetzt noch kommt, vielleicht ein wenig überzogen scheinen, doch war es nicht das erste Mal, dass dies vorgekommen war, und freundliches Zureden hatte, so wie fast immer, offensichtlich nicht viel gebracht. Also schritt ich mit dunkler Miene zum Platz wo die Burschen gerade mit Raja und Kishore, welcher sich spontan hinzugesellt hatte, Streckübungen machten. Und nochmal -diesmal jedoch mit erheblich lauterem Ton- fragte ich „EVARU?“. Betretenes Schweigen. Ja, der sonst so friedfertige Brother war sauer. Ich fragte Kishore ob er mich übersetzen kann, und legte los mit einem Vortrag über mangelnden Respekt, Konsequenzen, wann es mit dem Spaß vorbei ist, usw. Nach meinem Vortrag kam jeder Bursche einzeln zu mir hergerannt und entschuldigte sich 10 Mal „Sorry Brother, my sorry Brother!“ - obwohl ich eigentlich nur von dem Schuldigen eine Entschuldigung erwartet hätte. Natürlich war dies nicht das erste Mal gewesen, dass ich mit den Burschen lauter geschimpft hatte; ich bringe dieses Beispiel deswegen, weil das eigentlich mein erster und einziger Vortrag gewesen war, der wirklich Wirkung gezeigt hatte – niemand traut sich mehr seitdem mich von außen einzusperren. So einen Vortrag müssten Konrad und ich eigentlich mindestens einmal die Woche halten, wenn ich es mir recht überlege. Denn das mit dem fehlenden Respekt, und dass die Burschen nie wissen wann genug ist, ist eigentlich das Hauptproblem, dass wir mit den Burschen haben. Sie wissen, dass sie von uns nicht geschlagen werden und respektieren und deshalb nicht so sehr wie die anderen Mitarbeiter. Weiters lieben sie es gegen uns zum Spaß zu kämpfen, was mir persönlich ja auch immer echt Spaß macht, aber das Problem ist, dass sie dann halt nie wissen wann genug ist und immer maßlos übertreiben. Aber wie auch immer, diese Woche in Vimukti, und bestand sie auch nur aus 2 Tagen, war jedenfalls ganz okay finde ich, da auch die Class diesmal nicht nur ein heilloses Chaos war, sondern tatsächlich teilweise getan wurde, was von uns aufgegeben war. Für nächste Woche habe ich Bastelmaterial besorgt, um Osterkörbchen mit den Burschen zu basteln - möchte eine Ostersuche veranstalten. Bin mal sehr gespannt wie das hinhauen wird. Außerdem habe ich ein paar Hütchen gekauft (die man zum Beispiel für einen Slalomlauf aufstellt), in der Hoffnung, damit die Football Class attraktiver gestalten zu können. Ich plane diese Hütchen auch in andere Aktivitäten einzubeziehen, wie zum Beispiel eine Olympiade – eine solche zu organisieren, habe ich mir ja schon vor längerer Zeit überlegt.

Aber nun zur Hochzeit. Am Mittwoch in der Früh brachen wir mit den anderen Volontären auf ins Kinderdorf Chiguru. Also, was ich zunächst mit absoluter Gewissheit sagen kann: einem so farbenfrohen Ereignis habe ich in meinem Leben wahrscheinlich noch nie beigewohnt. Vor der Zeremonie schmierten sich die Frauen gelbes Pulver ins Gesicht, was sie mit ihren farbenfrohen Saris, zu noch bunteren Gestalten machte. Das einzig nicht bunte an ihnen waren wohl die schwarzen Haare, aber auch die waren reichlich mit Blumen geschmückt. Der Saal war mit Blumenketten verhangen und die Bühne in festliches Rot und Gelb getaucht. Was vor der Zeremonie jedoch schon vorprogrammiert war: Chaos. Nicht umsonst befanden wir uns im KINDERdorf Chiguru. Als die Braut, umzingelt von zwei Dutzend Leuten, in den Saal gelangte, tobten auch schon längst die Kinder herum; sie sprangen über Stühle und spielten auf der Bühne. Indischer hätte die Hochzeit wohl kaum werden können. Jedenfalls wurden die Kinder dann von Leitern zurechtgewiesen und nahmen stillschweigend vor der Bühne am Boden Platz. Es wurde viel geredet, gesungen, mit Blumen herumgeworfen, das Ehepaar hängte sich gegenseitig Blumenketten um und unterzeichnete die „Marriage Registration“ – diese zu unterzeichnen ist Teil der Zeremonie. Zum Abschluss schüttelte jeder dem Ehepaar die Hand und wünschte eine „Happy Marriage“. Zu Mittag gab es dann noch gutes Essen. Und das war es dann eigentlich auch schon. Die Hochzeit war übrigens eine arrangierte Hochzeit. So wie es in Indien eben Tradition ist. Doch diese Hochzeit war nicht das einzige Highlight dieses Mittwochs.


Konrad und ich hatten für die Woche nämlich auch geplant, am Donnerstag nach Guntur zu fahren, um unsere Burschen, die vor ein paar Wochen von Vimukti ins Ausbildungszentrum dort weitervermittelt wurden, zu besuchen. Doch Antu, der „Programm Officer“, also quasi der offizielle Projekt-Verantwortliche für Vimukti, hatte die Idee, Konrad und mich mit Sudharka (dem In Charge von Vimukti) und Sanka (ein weiterer Projekt Verantwortlicher) auf den Motorrädern direkt nach der Hochzeit ins Nac (so heißt das Ausbildungszentrum) fahren zu lassen. Am liebsten wären Konrad und ich zwar einfach am Donnerstag in der Früh mit dem Bus hingefahren, aber wenn sich Antu mal was in den Kopf gesetzt hat, dann muss das auch so geschehen. So fuhren wir in der Nachmittagshitze, ich auf dem Motorrad mit Sanka sitzend, Konrad auf dem mit Sudharka sitzend, ins Nac. Insgesamt, also hin und zurück, fuhren wir etwa 3 Stunden mit dem Motorrad durch die Landschaft Indiens herum. Für manch einen mag sich das anstrengend anhören, ich für meinen Teil liebe es aber auf dem Motorrad herum zu fahren – speziell wenn die Straße weite Reisfelder, Bananenplantagen und Palmen- sowie Mangohaine säumen. Im Nac war es sehr nett, wir brachten den Burschen Kekse mit über die sie sich sehr gefreut haben. Ich denke sie kommen gut voran und scheinen auch zufrieden mit ihrer Ausbildung zu sein. Die meisten lassen sich übrigens zu Malern ausbilden. Auch die Profession des Mechanikers oder Elektrikers ist beliebt. Jedenfalls kamen wir dann etwa um 6 Uhr am Abend, todmüde im Yuva Bhavan, also der Projektzentrale, wieder an. Ich war den restlichen Abend zum Wegschmeißen und ging ziemlich früh schlafen. Alles in allem war es ein sehr ereignisreicher, anstrengender, netter und interessanter Tag.

Auf dem Rückweg mit Sudharka auf dem Motorrad... ist übrigens
das erste Mal dass ich ihn mit einem Helm auf gesehen habe... generell sind
Inder mit Motorradhelmen beim Motorrad fahren eine Rarität (für mich gabs
daher natürlich auch keinen)

Donnerstagabend hatten wir dann ein Goodbye Dinner – die 4 Linzer Studenten, die vor 3 Monaten zu uns gestoßen waren, hatten ihr Praktikum abgeschlossen und machten sich wieder auf den Weg zurück nach Österreich. Es war ein sehr netter Abend, auch wenn das Abschied nehmen natürlich keinem leicht gefallen ist. Ich wage es noch nicht daran zu denken, wie das dann bei mir in noch nicht einmal mehr 5 Monaten sein wird.

Alles in allem war das meine Woche. Weiter erwähnenswertes fällt mir zumindest gerade nicht mehr ein. Im Sinne eines harmonischen und friedlichen Palmsonntags, wünsche ich noch einen schönen Tag.

Alles Liebe aus Indien

Konstantin

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