Sonntag, 18. September 2011

Das erste Mal Unterrichten!

Jede Woche dasselbe Dilemma. Ich sitze vor dem Computer und überlege womit ich denn nur anfangen soll. So eine leichte Entscheidung ist das auch wahrlich nicht, bei so vielen Erlebnissen. Aber ich sammle mich und fange einfach bei letztem Montag an. Meine erste Woche in meinem Projekt. Vimukti.

Die beste Voraussetzung für die Woche war nun wirklich nicht geschaffen - Konrad, der Volontär aus Deutschland mit dem ich zusammen in dem Projekt bin, war krank. Das hieß für mich im Klartext, am Montag in der Früh alleine ins entlegene Vimukti zu fahren und auch die ersten Unterrichtseinheiten ganz alleine zu gestalten, bis Konrad halt wieder auf den Beinen ist.
Besonders nervös hat mich dieser Gedanke vorallem deshalb gemacht, weil es in Vimukti nicht, wie anfänglich von mir fälschlicher Weise gedacht, nur 12 - 15 Jährige gibt, sondern Jugendliche in den verschiedensten Altersgruppen. So wie es 12 Jährige gibt, so gibt es genauso auch 20 bzw 21 Jährige. Und irgendwie ist es schon eine merkwürdige Sache, wenn ein 19 Jähriger 20 bzw 21 Jährige unterrichtet. Um 11 Uhr, also ca. 2 - 3 Stunden später kam ich jedenfalls endlich an. Bei der Hinfahrt als, dezent ausgedrückt, 'etwas mühsam' erwies sich einerseits die herunterknallende Sonne, als auch die Tatsache, dass ich, nach einer 1 1/2 stundenlangen Busfahrt, in einem Dorf in der Nähe von Vimukti, etwa 20 Minuten vollgepackt darauf wartete dass mich jemand von der Projektleitung im Niemandsland abholen würde, was natürlich ausblieb und mir nur die einzige Möglichkeit ließ, selbst Initiative zu ergreifen. Eine Rikscha die mich ins ziemlich entlegene Vimukti brachte, war zum Glück schnell gefunden, nicht so schnell jedoch Einigung bezüglich des Tarifs für die Fahrt erzielt. Inder verlangen nämlich, und das bei Dienstleistungen
ganz prinzipiell, von uns 'Westlern' immer das drei- oder vierfache des normalen Preises, weil wir ja schließlich alle und zwar ausnahmslos im Geld schwimmen! Nach 5 Minuten Feilschen war schlußendlich doch Einigung erzielt und ich gelangte, etwa eine halbe Stunde später, im hintersten Teil der Rikscha mit meinem ganzen Gepäck quer liegend -da die Rikscha sonst rammelvoll war- endlich in Vimukti an.

Als ich schließlich in Vimukti ankam, erfuhr ich, dass ich meine erste Unterrichtsstunde erst am Dienstag haben sollte, da die Class normalerweise um 10 Uhr ist und sich das mit der Hinreise am Montag immer überschneidet. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Gleichzeitig dachte ich mir aber auch, dass ich meine erste Unterrichtsstunde eigentlich schon sehr gerne bereits hinter mich gebracht hätte. Somit sollte die größte Anspannung also bis Dienstag um 10 Uhr erhalten bleiben. Der restliche Montag diente mal zur Absprache von Organisatorischem mit der etwas chaotischen Projektleitung. Unter anderem erhielt ich auch mein Zimmer. Eigentlich gefällt es mir sehr gut, man sollte nur nach Möglichkeit keine Phobie vor Insekten haben. Bei erstmaliger Betrachtung meines Zimmers wirkte es so als würde es sich an allen Ecken und Enden bewegen: kleine, große, dicke, dünne Spinnen, Käfer, Heuschrecken usw. Von den 3 Ameisenstraßen mal ganz abgesehen. Einfach alles was das Herz so begehrt. Einzig erfreuliche Zimmerkollegen sind 2 Eidechsen und ein Gecko, die nämlich die ganzen Fliegen fressen. Achja, und eine Maus hat sich bei mir in meiner Schublade eingenistet. Ich lasse sie einstweilen da wohnen, noch brauche ich die Schublade ja nicht; außerdem ist mir eine Maus ungefähr 1000 Mal lieber als eine Ratte, von denen es hier leider auch genug gibt. Jedenfalls bin ich nicht besonders verwundert über das vielen Leben hier. Gelangt man hinauf zum Dach des Gebäudes, so kann man seinen Blick über eine weite, grüne, von Wäldern besäumte Fläche schweifen lassen. Das Anwesen hier ist wahrlich ein einziger Blickfang. Speziell in der Abendröte, wenn die Sonne allmählich hinter den gar nicht mal so weit entfernt scheinenden Bergen versinkt und die gesamte Landschaft in ein mattes, beruhigendes Rot taucht, nur noch das Zirpen der Grillen und das gleichmäßige, ruhige Summen der Libellen zu vernehmen ist beziehungsweise der warme, fremde Duft bisher gänzlich unbekannter Pflanzen und Kräuter in die Nase steigt. Das sind so die Situationen, in denen sich ein einziger Moment eine eigene Form von Zeit aneignet und in denen ein gedankenverlorener Blick in die unendliche Ästhetik der Natur auszureichen scheint um von der Spiritualität des umgebenden Lebens das Herz geöffnet zu bekommen. Aber setzt man hier der Situation Worte gegenüber so erscheinen sie so trivial; wer kann schon Gefühlen Formen verleihen. Sowas kann man nicht beschreiben, man kann es nur selbst erleben.

Als ich am Dienstag in der Früh aus dem Bett steige bin ich völlig fertig. Da ich technisch nicht in der Lage war das Mückennetz am Vorabend richtig anzubringen bin ich völlig zerstochen. Außerdem war es unaushaltbar heiß in der Nacht, der Ventilator hat nicht richtig funktioniert und für die Matratze, an der man auch wenn man nicht schwitzt mit der Haut immer kleben bleibt, hatte ich für diese Nacht natürlich noch kein Leintuch bekommen, was durch einen kontinuierlichen Schweißstrom die ganze Nacht über dazu geführt hat, dass ich mir am Ende wie eine Fliege in einem Spinnennetz vorgekommen bin. Nach einem etwas trägen, gähnenden Morgen ist es schließlich endlich 10 Uhr. Ich warte im Klassenzimmer auf dem Lehrertisch sitzend, mit einer gewissen Anspannung im Blick und mit den Armen steif am Tisch aufstützend aber mit einer gespielten Coolness die Beine vom Tisch baumelnd. Schließlich trubeln allmählich die Burschen ein. Etwa um 10 nach 10 kann ich endlich anfangen. 25 Augenpaare starren mich an. Manche neugierig, manche ein wenig skeptisch. Ich lasse mir nicht anmerken dass ich zum ersten Mal in meinem Leben unterrichte, und das indische Jugendliche. Vom Leben gezeichnete, auf der Straße aufgewachsene, von ihren Familien verstoßene
oder davon gelaufene Jugendliche. Vielleicht gibt es auch überhaupt keine Familie. Drogen als Flucht vor der Realität. Manche können nicht ein einziges Wort Englisch, ich dazu kein einziges Wort Telugu. Da tritt man auf der Stelle, das habe ich schon in der ersten Stunde gemerkt. Trotzdem war meine erste Stunde denke ich ein Erfolg. Den Burschen haben die Spiele sehr Spaß gemacht die ich vorbereitet habe. Auch ein bisschen Stoff habe ich durchgenommen, bei dem ich gleich mal gemerkt habe wer halbwegs Englisch sprechen kann und wer nicht. Hierbei finde ich es übrigens sehr entgegenkommend dass ich im Normalfall mit Konrad unterrichten kann; einer kümmert sich einfach um die Schwächeren und der andere um die Stärkeren. Nach meiner ersten Stunde habe ich jedenfalls mal befreiend ausgeatmet. Die Stunde am Mittwoch hat ebenfalls gut geklappt. Auch wenn ich bisher mehr Spiele als Stoff durchgenommen habe. Aber ich finde am Anfang kann man das schon so machen. Am Mittwoch um die Mittagszeit ist dann Konrad aufgetaucht, zwar noch nicht ganz gesund aber er hatte sich doch wieder recht gut erholt hatte ich den Eindruck. Jetzt rückbetrachtend bin ich eigentlich ganz froh darüber, dass ich das Unterrichten zunächst mal alleine gemacht habe. Ich denke, es war eine gute und wichtige Erfahrung, zu Beginn mal ins eiskalte Wasser gestoßen zu werden.

Naja so viel jedenfalls mal zum Unterrichten. Obwohl die erste Woche unterrichtstechnisch gesehen wohl tatsächlich eher ein Erfolg war, so muss ich dennoch eingestehen, nach wie vor mit gewissen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Zwar denke ich, dass ich mit ein paar Burschen schon recht gut auskomme, aber ich merke einfach, ich bin noch nicht so recht angekommen. Nicht nur bei den Jugendlichen. Auch noch nicht wirklich bewusst in der Situation in der ich mich hier befinde. Es ist eine Art Orientierungs- bzw Realisierungsprozess den ich gerade durchmache. Dieser äußerst sich unter anderem auch dadurch, dass ich mich bisher eher passiv verhalte. Zwar habe ich das eine oder andere Mal mit den Burschen schon Cricket oder Schach gespielt, dennoch aber war ich bisher eher häufiger in meinem Zimmer um zu lesen oder auf dem Dach um zu beobachten bzw. die Natur zu genießen. Auch ein paar von den Jugendlichen hier verhalten sich mir gegenüber noch eher zurückhaltend und unentschlossen. Das ist auch okay so, es braucht halt alles einfach ein bisschen Zeit. Andere wiederum haben mich gleich vom ersten Tag an akzeptiert, und die helfen mir auch echt mich in Vimukti wohlzufühlen. Trotzdem hätte ich es wohl in einem Kinderprojekt am Anfang mit aller Wahrscheinlichkeit einfacher gehabt. Aber ich hatte mich trotzdem für Vimukti entschieden. Es war eine Bauchentscheidung. Das Leben ist oft von solchen Bauchentscheidungen bestimmt, zumindest bei mir. Oft kann ich sie nicht wirklich erklären. Aber irgendwie fühlt es sich immer richtig an wenn ich eine solche Entscheidung getroffen habe. Auch wenn andere, logisch durchdachtere Entscheidungen, gewiss mehr dazu führen würden, dass ich mich weniger überfordert fühle. Aber in solchen Momenten muss ich auch immer daran denken, was mir ein sehr guter Bekannter in das Büchlein, das mir meine Nichte als Erinnerung an zu Hause geschenkt hat, hineingeschrieben hat: 'Lernen findet nicht dort statt wo es angenehm ist und alles bekannt ist, sondern dort wo es anstrengend, ungewiss und fordernd ist. Wenn du also leidest, wehr dich nicht dagegen, sondern akzeptiere es dankbar als Preis für das persönliche Wachstum.' Ich musste schon viel über diese 2 Sätze nachdenken, und sie helfen mir meine Situation zuversichtlicher zu betrachten. Es hat schon so seinen Grund dass ich durch genau diese Zeit gehen muss. Dazu ist es auch einfach wichtig sich immer wieder vor Augen zu führen, dass man sich wirklich gerade mitten im Plan Gottes befindet. Er wollte mich in Indien, in Vimukti haben. Obwohl ich ja ursprünglich nach Ghana wollte, also wo völlig anders.

Heute ist Sonntag. Morgen fängt der Kampf wieder an. Aber ich freue mich darauf. Das Essen im Navajeevan Zentrum wird nochmal ordentlich genossen bevor es dann wieder zum Essen im Projekt geht, welches, nun ja, sagen wir nicht ganz mithalten kann mit dem Essen hier. Interessant ist aber, dass meine Magenbeschwerden im Prokjekt auf einmal wie verschwunden waren letzte Woche. Aber als ich jetzt für das Wochenende wieder zurück war in Vijayawada, sind sie wieder aufgetaucht. Ein Mysterium. Irgendwas hier dürfte ich nicht so ganz vertragen. Ich bin noch auf der Suche nach der Quelle. Übrigens wohne ich nicht mehr in der alten Volontärs WG. Ich bin in die Flat darüber gezogen, weil 3 neue Volontäre, 2 aus
Deutschland und eine aus Österreich neu dazu gekommen sind. Da für die nicht mehr genügend Platz im unteren Flat waren, bin ich mit ihnen einfach rauf ins andere Flat gezogen. Ich habe mich dazu bereit erklärt, weil ich nicht länger in einem Durchgangs Zimmer schlafen wollte. War jetzt auch keine Riesen Umstellung, da es im oberen Flat auch genauso ausschaut wie im unteren. Achja, noch abschließend bleibt mir zu erwähnen, dass Konrad und ich einen Fußball für Vimukti gekauft haben, da der Ball im Projekt leider kaputt ist. Hoffe wir kommen die Woche das eine oder andere Mal zum kicken, in Cricket wurden wir jetzt schon oft genug von den Indern vorgeführt, jetzt wirds mal Zeit den Spieß umzudrehen.

Naja, mal wieder könnte ich noch etliches weiterschreiben, aber weil ich mal davon ausgehe, dass der Großteil der Leute den Text hier ohnehin einfach überfliegt weil er einfach zu lange ist, mache ich jetzt mal Schluß.
Ich melde mich nächstes Wochenende wieder.

Indische Grüße

3 Kommentare:

  1. Konsti Konsti Konsti...

    Der Text ist absolut nicht zu lange und ich bin froh über jedes Wort das du schreibst!

    Ich überfliege den Text absolut nicht, schreib soviel du willst. Besser zuviel als zu wenig ;)

    Freut mich, dass du deine ersten Unterrichtsstunden gut überstanden hast und ich hoffe, dass du die Ursache für die Magenschmerzen bald findest.

    LG Eva

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  2. Sweet as, mach nur weiter so!!! Klingt alles ziemlich nach nem ordentlichen Abenteuer :) hast schon nen Namen für die Maus ? :D

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  3. Hehehe, da kommen mir dir Tränen bei manchen Schilderungen, weil es einfach urlustig ist wie du Dinge beschreibst, Konsti, du merkst das wahrscheinlich nicht, da du ja unter den Kleingetieren viel zu leiden hast du Armer, aber für mich als Leser ist es nur spannend was als nächstes kommt, schreib es einfach, denen die alles lesen, eben weil es lesenswert und lebenswert ist! Freude und Durchhaltevermögen dir lieber Chanti! Grüße von CCurchler Ricco(Erich)

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