Samstag, 30. Juni 2012

Es ist wieder mal Zeit aufzubrechen und zu lernen...


Es ist interessanter Weise immer wieder ein bisschen eine Überwindung, sich zum Blog Schreiben zu motivieren (selbst noch nach 10 Monaten); aber sobald man sich überwunden hat, fliesst alles wie von selbst. Gedanken in Formen festzuhalten stellt eine äußerst befreiende Variante der Gedankenentleerung dar. Das erfahre ich jedes Mal aufs Neue, wenn ich mich dazu durchgerungen habe, einen Blogeintrag zu schreiben, und jedes Mal aufs Neue bin ich auch wirklich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Dennoch muss ich hier leider verkünden, dass dies mein letzter Blogeintrag für die zumindest nächsten beiden Sonntage sein wird. Ab Mittwoch ist es nämlich endlich soweit – dann beginnt mein 11 täger Meditationskurs in Nagarjuna Sagar, einer kleinen entlegenen Ortschaft etwa 150 km südöstlich Hyderabads (der Hauptstadt von Andhra Pradesh), welche übrigens an dem größten Stausee Indiens liegt. Nach diesen 11 Tagen werde ich noch 3 Tage in Hyderabad verbringen um mir endlich einmal in Ruhe die Stadt und die Projekte von Navajeevan (ja Navajeevan hat auch dort einen Standort) anzuschauen. Ich war zwar jetzt schon 2 Mal in Hyderabad, jedoch waren diese 2 Mal immer nur Kurzbesuche in welchen längere Sightseeing Touren leider nicht möglich waren. Nun, über Hyderabad wollte ich heute aber eigentlich gar nicht schreiben, ihr sollt nur wissen, dass ich von 4. bis 18. Juli nicht erreichbar sein werde.

Worüber ich eigentlich schreiben will, ist mein bevorstehender Meditationskurs. Manche von euch fragen sich vielleicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, meine letzten Urlaubstage für einen Meditationskurs aufzubrauchen, bzw. was genau ich dort überhaupt machen werde. Gleich zu Beginn möchte ich -wie bereits in meinem letzten Blogeintrag erwähnt- auf die Homepage des Kursanbieters hinweisen (www.dhamma.org), auf welcher viele interessante Artikel zu finden sind (der englischen Sprache sollte man dafür halbwegs mächtig sein).
Mein Hauptbeweggrund für diesen Meditationskurs war der Gedanke an meine Rückkehr nach Österreich in nicht einmal mehr 2 Monaten, und wie nach meinem Jahr in Indien alles weitergehen wird. Es liegt eigentlich auf der Hand, wie es weitergehen wird: Studieren, Arbeiten, Studieren, Arbeiten, Studieren, Arbeiten. Ich fürchte es wird nach meiner Rückkehr nicht lange dauern, bis ich wieder einem gewissen Trott verfallen sein werde. Nicht falsch verstehen, ich freue mich schon darauf zu studieren, jedoch ist es nun einmal eine Tatsache, dass mit der alles in Anspruch nehmenden Herausforderung des Studierens bzw. der Mühsal eines zusätzlichen kräfte-, zeit- und nervenraubenden Nebenjobs, der Blick auf das eigentlich Wesentliche im Leben in Gefahr läuft, verloren zu gehen. Was ist das Wesentliche? Was das Wesentliche im Leben eines Menschen ist, muss wohl jeder für sich selbst definieren, für mich wäre es wohl einerseits Glaube, Familie, Freunde, wie andererseits auch einfach Ich sein zu dürfen, das Leben zu leben und es in all seiner Vielfalt (andere Menschen, andere Philosophien, andere Kulturen,...) entfalten und auf sich wirken zu lassen, und dadurch kennen zu lernen. Klar, Ausbildung ist wichtig, das möchte ich hiermit überhaupt nicht in Frage stellen, aber das, was unsere Gesellschaft mit ihrer unaufhörlichen Forderung nach Leistung heute zu sagen scheint, ist, dass Ausbildung und Arbeit im Leben eines Menschen das Einzige ist, dem es die volle Konzentration bzw. die oberste Priorität zu schenken gilt. Nun, inwiefern hat das jetzt mit meinem Meditationskurs zu tun? Zum einen geht es natürlich um das Kennenlernen von etwas Neuem bzw. um die extraordinäre Erfahrung die mir bevorsteht und auf die ich schon sehr gespannt bin. Jedoch mache ich hier auch so, wenn ich zu meiner Arbeit mit Straßenkindern gehe, außergewöhnliche Erfahrungen, lerne nach wie vor ständig Neues kennen. Allein Indien zu besuchen, wenn auch nur für kurze Zeit, ist bereits ein einprägendes Erlebnis. Im Wesentlichen hat meine vorherige philosophische Abhandlung über das Problem des heutigen gesellschaftlichen Leistunsprinzips mit dem Meditationskurs damit zu tun, dass ich davon überzeugt bin, während dieses Kurses etwas kennenzulernen, dass viele Menschen -speziell in unserer westlichen Welt-, jeden Tag aufs Neue aufgrund der einen vereinnehmenden Arbeit oder aufgrund alltäglicher Sorgen um Geld, Miete etc. oder sei es aufgrund des allgegenwärtigen Konsums der in unserer Gedankenwelt unbewusst eine immer wichtigere Rolle spielt und einem heutzutage beinahe schon aufgewzungen wird, vermissen: das schlichte Mensch sein. Das schlichte, unbekümmerte Ich sein.

Und damit komme ich auch gleich zu dem, was ich während meines Kurses machen werde: Nicht nachdenken. Mich nicht ablenken lassen. Mich nicht beeinflussen lassen. Mich nicht sorgen. Nicht planen. Sondern einfach Ich sein. Vollständige Ruhe erleben, kennen lernen, entfalten lassen. Meinen Fokus auf mich legen und den Raum mit leerer Zeit füllen. Während diesen 11 Tagen werde ich die Philosophie des Vipassana kennenlernen, welche dem Menschen dabei helfen soll, Ruhe und Gelassenheit im Alltag zu entwickeln, bzw. Schmerz und Unruhe in der Seele verrauchen zu lassen. Bei Vipassana handelt es sich nicht um eine religiöse Praktizierung, sondern um eine überkonfessionelle, rein physische Übung! Der Körper ist mit der Seele verbunden, das ist eine Tatsache von der ich ebenfalls absolut überzeugt bin. Im Wesentlichen werde ich während meines Meditationskurses üben, meinen Fokus, mit einem geleerten, klaren Kopf, auf meinen Körper zu legen, um so zu lernen, aufkeimenden Zorn oder Frust, mit einer gezielten körperlichen Präventiv - Reaktion (u.a. richtiger Atemtechnik), erst neutralisieren und anschließend verrauchen lassen zu können. Dies alles dient dem Zweck, in schwierigen Situationen des Lebens mehr Gelassenheit zu entwickeln und dadurch weniger Leid zu erfahren. Der Kurs ist kostenlos, und somit für jeden Menschen, ob arm oder reich, zugänglich. Wer will kann eine freie Spende nach dem Kurs geben. Eigene Zimmer sowie Verpflegung wird den Teilnehmern gratis bereitgestellt. Ins Leben gerufen wurde dieser Kurs, um dem Menschen völlig bedinungslos dabei zu helfen, mehr Frieden und Frohsinn im Alltag zu finden. Es nehmen Hinduisten, Buddhisten, Muslime wie auch Christen daran teil (da es sich, wie bereits erwähnt, nur um eine rein körperliche Übung handelt, lässt sich dieser Kurs mit jedem Glauben vereinbaren). Die Lehre des Vipassana ist eine uralte und lässt ihren Ursprung auf die Zeit Buddhas zurückführen; obwohl Vipassana also überkonfessionell ausgelebt werden kann, ist sie dennoch eine Lehre buddhistischen Fundaments. Selbst bin ich überzeugter Christ, doch bedeutet das nicht, dass ich deshalb den Lehren und Ideen anderer Religionen oder Philosophen nichts abgewinnen könnte. Ganz im Gegenteil. Speziell was andere Religionen angeht, halte ich es sogar für sehr wichtig, sich auch mit den Philosophien dieser auseinanderzusetzen; der Islam enthält genauso wie der Hinduismus oder Buddhismus Weisheiten und Lehren, die ich für sehr wertvoll und interessant halte.

Obwohl ich mich schon sehr auf den Kurs freue, bin ich dennoch Realist genug, um mir bewusst zu sein, dass diese 11 Tage nicht nur ein entspanntes Vergnügen sein werden. Jegliche Informationszufuhr ist untersagt (sei es durch das Lesen eines Buches oder das Spielen mit dem Handy), mit anderen Kursteilnehmern zu sprechen ist untersagt (außer zu einer bestimmten Zeit mit dem Lehrer), selbst den anderen in die Augen zu blicken ist untersagt. Man soll durch nichts abgelenkt oder gestört werden. Das Einzige, das man während seiner freien Zeit (also wenn gerade keine Meditations- oder Lehreinheiten auf dem Stundenplan stehen) tun kann, ist Wäsche zu waschen oder spazieren zu gehen. Während diesen 11 Tagen werde ich also von der Welt völlig abgeschnitten sein. Und auch für die Zeit nach dem Kurs, plane ich, zumindest für den restlichen Monat Juli, kein Facebook mehr zu benützen. Nach meiner Rückkehr nach Österreich werde ich vermutlich die ersten Wochen fast nur noch von einem Termin zum nächsten jagen, daher möchte ich die Ruhe hier noch voll und ganz auskosten.

Abschließend möchte ich jetzt noch schnell zu meiner vergangenen Woche zu sprechen kommen. Letzte Woche habe ich mit dem Street Presence Team am Bahnhof gearbeitet. Bei dem Team bin ich als 'Khan' bekannt, da sie sich entschlossen hatten, dass Konstantin wie auch Konsti zu kompliziert sei. Zusammen mit Konstantin (so nennen mich die Fathers), Konsti Brother (so nennen mich die Burschen in Vimukti), Chanti (so werde ich nach wie vor von einigen Kindern im Chiguru genannt), habe ich damit jetzt also schon 4 Namen in Indien. Naja mich kümmerts eigentlich nicht weiter, solange ich weiß wer gemeint ist. Jedenfalls war diese Woche sehr interessant. Es ist einfach eine kaum zu beschreibende Erfahrung, wenn man jeden Tag aufs Neue verwahrloste Kinder, die von überall aus Indien herkommen, klammheimlich aus Güterwaggons krabbeln sieht und Verstecke abgeht, zu welchen sich normaler Weise keiner hinbegibt weil diese von Müllbergen umgeben sind. Die Reaktionen die man erhält, wenn man solche Kinder anspricht, fallen sehr unterschiedlich aus. Manche sind sehr interessiert weil sie z.B. von der Möglichkeit zu essen erfahren. Andere wiederum bekommen panische Angst, wenn sie angesprochen werden. Ein Kind das, so wie wir von Freunden von ihm später erfuhren, schon ein paar Mal von Erwachsenen vergewaltigt wurde, fing bereits an zu heulen als es sah, dass wir auf ihn zugehen. Als wir dann trotz seines Heulanfalls weiter auf ihn zugingen, rannte er schließlich wie verrückt davon. Bei einem anderen Jungen erfuhren wir, dass er seit 5 Tagen nichts mehr gegessen hatte. Als wir ihn zum Shelter gebracht hatten, kümmerte ich mich natürlich sofort darum, dass er etwas zu Essen erhält. Einem kleinen Kind, das seit 5 Tagen nichts mehr gegessen hat, beim Essen zuzuschauen, ist eine Erfahrung die das Herz berührt. So schnell werde ich diesen Anblick jedenfalls nicht mehr vergessen. Und mir wird schlecht wenn ich daran denke, wieviel Essen wir bei uns in Europa wegschmeissen, wenn wir keinen Hunger mehr haben. Wer von uns könnte es jemals nachempfinden, was es bedeutet, so schmerzhaften Hunger zu haben? Das Bild von diesem Kind, wie es mit zittrigen Händen nach dem Reis (vermischt mit viel Wasser und Joghurt, da der zusammengezogene Magen das Essen sonst nicht verdauen hätte können) fasst und sich in den Mund stopft, könnte ich euch so, wie ich es gesehen habe, niemals wirklich nachempfindbar beschreiben.

Es gäbe noch einige weitere Beispiele, von denen ich euch erzählen könnte, jedoch muss ich jetzt leider zu einem Ende kommen. Wahrscheinlich habe ich wieder irgendwas, dass mir noch wichtig gewesen wäre zu erwähnen, vergessen. Aber wie auch immer, ich denke das Wesentliche ist gesagt.
Letzte Woche ist es übrigens wieder ein wenig wärmer geworden, der Monsun dürfte sich eine kleine Auszeit genommen haben (und mit ein wenig wärmer meine ich, was -so wie ich hörte- in Österreich als Rekord - Hitzewelle bezeichnet wird, also so ca 35 – 36 Grad... jemand, der an so manchen Tagen im indischen Sommer schon um die 48 Grad erlebt hat, kann Temperaturen um die 35 Grad beim besten Willen nicht mehr als Hitze bezeichnen).

Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag, von mir hört ihr wieder in 3 Wochen mit einem (voraussichtlich) extra langen Erfahrungsbericht!

2 Kommentare:

  1. Ich will nur sgen dass es vorgestern 41°C (selbst gemessen) hatte und heute stolze 37° :D

    Lg A.

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  2. Du wirst verstehen dass ich mir auch bei 41 Grad ein bissl schwer tu das als wirkliche Hitze zu bezeichnen.. 41 Grad war hier Durchschnittstemperatur über mehr als einen Monat lang, und 48 Grad ist halt doch auch nochmal ein anderes Kaliber :P

    ..aber wie auch immer, um die Temperatur gings mir eig gar nicht mal so in dem Eintrag^^ -versteh aber natürlich trotzdem dass euch sehr heiß sein muss nachdem ihr das nicht gewohnt seid- (wer bist du übrigens eigentlich lieber anonymer A.?^^)

    Lg

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